Chemie

Forschung

Besonders hervorzuheben im Bereich der biologisch-medizinisch orientierten chemischen Forschungsaktivitäten ist die erfolgreiche Einwerbung des von der DFG mit etwa sieben Millionen Euro für vier Jahre geförderten Sonderforschungsbereiches „Supramolekulare Chemie an Proteinen“ (SFB 1093, Sprecher Prof. Thomas Schrader, Stellv. Sprecher Prof. Carsten Schmuck). Seit April 2014 arbeiten in diesem Verbund 14 Forschergruppen unserer Universität aus der Chemie, Biologie und der Medizin gemeinsam daran, chemische Moleküle zu entwickeln, die die biologischen Eigenschaften von Proteinen modulieren können. Unterstützt werden sie dabei von zwei Arbeitsgruppen vom Max-Planck-Institut für Physiologische Chemie in Dortmund. Proteine sind die Werkzeuge der Zelle. Es gibt kaum einen biologischen oder medizinischen Prozess, an dem Proteine nicht beteiligt sind. Als Enzyme beschleunigen sie selektiv chemische Reaktionen zum Beispiel bei Stoffwechselvorgängen, und als Rezeptoren vermitteln sie Signale, die von außen an eine Zelle herangetragen werden. Sie kontrollieren so, wann beispielsweise ein Gen abgelesen wird, sich eine Zelle teilt oder in den kontrollierten Zelltod geschickt wird. Das häufig sehr komplexe Zusammenspiel der Proteine mit ihren jeweiligen Partnern, bei denen es sich um andere Proteine, um Nukleinsäuren oder Hormone handeln kann, ist auf molekularer Ebene bisher oft noch nicht vollständig verstanden. Hier setzt der SFB an. Die dort zusammengeschlossenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln Moleküle, die so maßgeschneidert sind, dass sie gezielt mit einzelnen Proteinen interagieren ­können und dabei die biologische Funktion dieses Proteins gezielt verändern. So lässt sich nicht nur mehr über diese fundamental wichtige Prozesse lernen, sondern es könnten sich aus diesen grundlegenden Arbeiten auch Anhaltspunkte für die Entwicklung neuer Wirkstoffe ergeben. Denn häufig ist das Fehlverhalten eines Proteins auch für das Auslösen einer Krankheit (mit) verantwortlich. Die Chemiker verfügen für diese Arbeiten über ein großes Repertoire an sehr unterschiedlichen Methoden. Ausgehend von bekannten biologisch wirksamen Naturstoffen, werden gezielte Veränderungen vorgenommen, damit diese Moleküle auch an andere Proteine binden können, mit denen sie bisher nicht wechselwirken. In einem anderen Ansatz werden Polymere mit spezifischen Haftgruppen hergestellt, die an komplementäre Bindungsstellen auf einer Proteinoberfläche ­binden können. Diese Polymere können wie ein molekulares Netz an ganze Flanken und Seitenflächen eines Proteins binden und so zum Beispiel verhindern, dass dort ein anderes Protein an­docken kann. In weiteren Arbeiten werden gezielt Mischungen von mehreren Hunderten sehr ­ähnlicher Moleküle hergestellt (sogenannte kombinatorische Bibliotheken), aus denen heraus sich dann in einem speziellen Auswahlverfahren diejenigen Moleküle identifizieren lassen, die die gewünschten Eigenschaften (zum Beispiel Bindung an ein vorgegebenes Protein) aufweisen. Nachdem mit solchen Ansätzen chemische Moleküle mit interessanten Eigenschaften gefunden werden, werden diese von den beteiligten Biologen detailliert auf ihre biologischen Eigenschaften untersucht. Die Tests reichen dabei von Reaktionen mit den isolierten Proteinen im Reagenzglas über zellbasierte Studien bis hin zu Tierexperimenten in Zusammenarbeit mit der Medizin. Mit modernsten Methoden der Strukturaufklärung (zum Beispiel NMR, Röntgenstruktur und Ramanspektroskopie) werden in Kombination mit theoretischen Berechnungen zudem die beobachteten Effekte auf molekularer Ebene analysiert. Ausgehend von diesen Erkenntnissen können dann im nächsten Schritt die Moleküle weiterentwickelt und noch passgenauer für das jeweilige Protein hergestellt werden.

Auch wenn der SFB gerade erst begonnen hat, haben die dort beteiligten Arbeitsgruppen bereits erste, sehr vielversprechende Ergebnisse erzielen können. So verstärkt zum Beispiel ein kleines, dreiarmiges Molekül die Wechselwirkung zweier anderer Proteine miteinander; das heißt, das Molekül wirkt als eine Art chemischer Klebstoff, der die beiden Proteine zusammenhält. Die ­gezielte Beeinflussung einer solchen Protein-­Protein-Interaktion unter physiologischen Bedingungen mit einem kleinen Molekül ist weltweit bisher erst in sehr wenigen Fällen gelungen. In einer anderen Arbeit konnte gezeigt werden, dass eine kleine molekulare Pinzette, die an ­positiv geladene Reste auf der Oberfläche oder in einer Furche eines Proteins binden kann, ­verschiedene Enzyme, die bei krankhaften ­Schädigungen des Darms beteiligt sind, abschalten kann. Interessanterweise lässt sich mit ähnlichen molekularen Klammern auch die Bildung von Proteinablagerungen, sogenannten Plaques, verhindern. Solche Ablagerungen bilden sich zum Beispiel bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer im Gehirn und beeinträchtigen dadurch die Funktion der Nervenzellen. Die von den Essener Chemikern entwickelten chemischen Klammern verhindern die Bildung solcher Plaques, da sie an spezielle Stellen auf den Pro­teinen binden, die für das Zusammenkleben der Proteine wichtig sind. Erste Tests an Alzheimer-Ratten waren sehr vielversprechend. Es wurde tatsächlich beobachtet, dass die kognitiven Fähigkeiten der Ratten sich wieder verbesserten. ­Ausgehend von solchen Grundlagenforschungen bis zur Entwicklung eines möglichen Medikamentes ist es aber sicherlich noch ein weiter Weg.

An der Fakultät für Chemie wird aber nicht nur an Proteinen geforscht, sondern auch an ­Genen. Unsere ChemikerInnen entwickeln in Kooperation mit BiologenInnen und MedizinerInnen chemische Transportsysteme, mit denen sich Gene in Zellen transportieren lassen. Nukleinsäuren, die Träger der Erbinformation, sind nicht in der Lage, alleine von außen in eine Zelle hineinzugelangen. Gerade dies ist aber für eine Gen-Therapie notwendig, bei der man zum Beispiel versucht, fehlerhafte Gene in einer Zelle durch ein funk­tionsfähiges Gen von außen zu ersetzen. Man braucht also Transportsysteme, sogenannte Transfektionsvektoren, die die DNA binden und diese dann über die Zellmembran hinweg in die Zelle ­transportieren. Die Chemiker an unserer Fa­kultät verfolgen hierfür erfolgreich zwei sehr ­unterschiedliche Ansätze: Zum einen werden Nanopartikel aus Calciumphosphat oder aus Edelmetallen wie Silber oder Gold als Transportvehikel genutzt. Zum andern werden wie­derum kleine organische Moleküle hergestellt, die spezifisch an eine Nukleinsäure binden. Die so gebildeten Komplexe aus DNA und Nano­partikel oder DNA und Molekül werden dann von Zellen aufgenommen. Dort wird die DNA wieder freigesetzt und kann dann in den Zellen die Produktion von Genen veranlassen. Zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus der Biologie wurde zum Beispiel soeben der kleinste, von einem Peptid abgeleitete Transfektionsvektor entwickelt, der bisher bekannt ist. Normalerweise müssen Peptide mindestens zehn oder mehr positiv ­geladene Aminosäuren aufweisen, damit eine ­effiziente Gentransfektion stattfindet. Versieht man die Aminosäuren aber mit einer maßgeschneiderten chemischen Haftgruppe, die unsere Chemikerinnen und Chemiker entwickelt haben und die spezifisch sowohl an die DNA als auch an negative geladene Gruppen auf den Zelloberflächen binden kann, dann reichen bereits vier dieser künstlichen Aminosäuren aus, um eine hocheffiziente Gentransfektion zu erreichen – Weltrekord.

Mit speziell funktionalisierten Calcium­phosphat-Nanopartikeln lassen sich zumindest Mäuse vor viralen Infektionen wie der Grippe schützen. An unserer Fakultät wurden hierzu biologisch abbaubare Nanopartikel entwickelt, die unter anderem ein für das Grippevirus spezifisches Antigen enthielten. Wurden diese Nano­partikel von Mäusen aufgenommen, führte die Freisetzung der Antigene beim Abbau der Partikel zu einer Immunisierung. Vielleicht erfolgt die Grippeimpfung demnächst mit solchen Nanopartikeln?
Arbeitsgruppen aus der Chemie und der Medizin untersuchen seit längerer Zeit erfolgreich spezielle Nanokapseln, die innen mit fluorierten Kohlenwasserstoffen gefüllt sind und als Blut­ersatzstoffe verwendet werden können. Der fluorierte Kohlenwasserstoff im Inneren der Kapsel, eine Art flüssiges Teflon, löst große Mengen Sauerstoff, ist aber völlig unmischbar mit Wasser. Verpackt in den Kapseln kann der Sauerstoff so normal über das Blut verteilt und dort abgegeben werden, wo er gebraucht wird. Solche künstlichen Sauerstoffträger sind insbesondere für die Behandlung bei akutem Schock von großem Interesse in der Notfallmedizin. Derzeit arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ­daran, die Verweilzeit der Kapseln im Körper durch eine spezielle Oberflächenbeschichtung zu verlängern.

Bei vielen Forschungsprojekten unserer Fakultät steht das Wasser im Mittelpunkt. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln zum Beispiel neue Methoden, mit denen sich bereits geringste Spuren von toxischen ­Verunreinigungen im Wasser nachweisen lassen. Auch Biofilme als Ursache für Trinkwasserverkeimung oder die Auswirkung von Mikroorganismen auf Korrosionsvorgänge werden intensiv untersucht. Bei anderen Arbeiten stehen Mikroorganismen, die unter ungewöhnlichen Bedingungen leben, im Vordergrund; zum Beispiel ­Archaea, die sich erst so richtig in 80° C heißer Schwefelsäure wohlfühlen. Einer unserer Arbeitsgruppen gelang zudem soeben die Entdeckung, dass Mikroorganismen auch in winzigen, wenige Mikroliter großen Wassereinschlüssen im Erdöl leben können. Inwieweit diese Mikroorganismen einen Abbau des Erdöls bereits in den Erdöllagerstätten in großer Tiefe verursachen können, wird gerade intensiv untersucht. Die Fakultät für ­Chemie ist zudem maßgeblich am neuen Fortschrittskolleg „Future Water“ beteiligt (Sprecher Prof. Torsten Schmidt), das einem Landesgraduiertenkolleg vergleichbar ist und ab dem 1. Oktober 2014 für zunächst viereinhalb Jahre durch das Land Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Zwölf DoktorandInnen werden sich im Kolleg mit sehr interdisziplinären Fragen der urbanen Wasserforschung beschäftigen.

Im Bereich der Didaktik der Chemie steht die empirische Bildungsforschung im Vordergrund. Wovon hängt zum Beispiel erfolgreiches Lernen ab? Welche Rolle spielt das Experimentieren im Chemieunterricht oder die Visualisierung beim Lernen von Chemie? Unsere Chemiedidaktikerinnen und Chemiedidaktiker sind bei solchen empirischen Forschungen bundesweit führend und gehören zu den wenigen Fachdidaktikern bundesweit, deren Forschung auch von der DFG gefördert wird. Im bundesweiten DFG-Förderatlas nehmen sie daher mit großem Abstand vor allen anderen Universitäten die Spitzenposition ein. So ist es nach dem Auslaufen der Forschergruppe und des Graduiertenkollegs „Naturwissenschaftlicher Unterricht“ im Jahr 2013 nahezu anschlussfrei geglückt, im Jahr 2014 ein neues DFG-Verbundprojekt einzuwerben. In insgesamt fünf Teilprojekten der Biologie-, Chemie, und Physikdidaktik sowie der Psychologie untersucht die neue DFG-Forschergruppe gemeinsam mit Fachwissenschaftlern Einflussfaktoren für das „Akademische Lernen und den Studienerfolg in der Eingangsphase von naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen“ (ALSTER). Damit adressiert die Forschergruppe angesichts nach wie vor hoher Studienabbruchzahlen aktuelle bildungspolitische Fragen um Kriterien für einen erfolgreichen Studienverbleib; ein bislang wissenschaftlich nicht systematisch untersuchtes Thema. Sprecherin der Forschergruppe ist die Chemiedidaktikerin Prof. Elke Sumfleth.