Forschung

Ein Großteil der Forschung unter dem Dach des Profilschwerpunkts WvGg lässt sich in folgende vier Themenbereiche zusammenfassen, die sich zum Teil überschneiden.

Transnationale Arbeitsmärkte als Teile einer sozialen und politischen Ordnungsbildung in einer zunehmend entgrenzten Welt

Nationalstaaten verfügen zunehmend über Arbeitsmärkte, deren Grenzen nicht mehr mit ihren eigenen übereinstimmen. Damit wird Arbeit in sich verändernden Kontexten erbracht, die neue Herausforderungen für die Akteure auf dem Arbeitsmarkt, aber auch für Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände kreiert. Wie kann Arbeit unter solchen Umständen organisiert werden? Wie wird Arbeit wahrgenommen? Was sind die Bedingungen „guter Arbeit“?

Ein langfristig tragfähiger Forschungszusammenhang zum Thema „Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte“ findet an der UDE und im Profilschwerpunkt WvGg sowohl inhaltlich wie auch institutionell besonders günstige Voraussetzungen. Inhaltlich wird davon profitiert, dass die Arbeits- und Arbeitsmarktforschung aus gesellschaftsvergleichender und transnationaler Perspektive an der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät – insbesondere am Institut für Soziologie und am Institut Arbeit und Qualifikation, aber auch darüber hinaus – stark ausgeprägt ist. Ausgehend von den bereits durch die DFG geförderten Einzelanträge zum Thema „Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte” von Prof. Ingo Schulz-Schaeffer („Techniken und Praktiken der Zusammenarbeit in transnationalen Projekten der Softwareentwicklung“), Prof. Karen Shire („Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung“), Prof. Petra Stein („Modellierung von dyadischen Entscheidungsprozessen räumlicher Mobilität und ihren Konsequenzen“) und Prof. Thomas Haipeter („Interessenvertretung in nationalen und transnationalen Handlungsräumen: Unternehmensrestrukturierung und das Problem der Interessenartikulation“) findet eine weitere Ausarbeitung dieses Projektclusters unter dem Dach des Profilschwerpunktes WvGg statt. Im Mittelpunkt der Initiative „Transnational Labor“ steht aus weltregionaler Perspektive weiterhin die Frage nach den institutionellen Einflüssen auf die Transnationalisierung von Arbeit, sei es als grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften, Transnationalisierung von Produktionsstandorten und Arbeitsstätten oder transnationale Mobilität von Arbeitstätigkeiten. Neben den bereits durch Einzelanträge Geförderten sind weitere Kolleg*innen aus dem Institut für Soziologie, dem Institut Arbeit und Qualifikation und dem Institut für Ostasienwissenschaften der UDE sowie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) beteiligt.

Politische und soziale Steuerung (Governance) innerhalb und über nationale Grenzen hinweg

Governance bezeichnet allgemein die Steuerung komplexer Organisationen, insbesondere von staatlichen Strukturen. Globale Governance ist die Steuerung von strukturellen Allokationsmechanismen zwischen Staaten oder durch einzelne Staaten, welche die ganze Welt oder einen Großteil der Welt umfassen. Transnationale Governance ist der globalen Governance übergeordnet und bezeichnet die grenzüberschreitende Steuerung des Nationalstaats. Welche Formen effizienter Steuerung sind im Spannungsfeld zwischen Nationalstaaten und Globalisierung möglich? Was sind die ordnungsbildenden Strukturen, auf deren Grundlage Governance (noch) stattfinden kann? Welchen Spielraum haben gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure in den „neuen“ Steuerungsstrukturen? Charakteristisch für die Forschung zu Governance am Profilschwerpunt WvGg ist neben der interdisziplinären Komponente die klare international vergleichende Perspektive. Neben den Aktivitäten der einzelnen Mitglieder ist das Käte Hamburger Kolleg/Centre for Global Cooperation Research hier profilbildend (s. Seite 178).

Weiterhin versuchen folgende Projekte, die oben genannten Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten:

  • ‚‚Die Beziehungen zu Zentralasien sind ein wichtiges Element des sich wandelnden transatlantischen und geopolitischen Umfelds, in dem sich die EU derzeit befindet. Das durch die Europäische Kommission geförderte EU Horizon 2020-Projekt „Strengthening and energizing EU-Central Asia relations (SEnECA)“ von Politikwissenschaftler Prof. Michael Kaeding will die Beziehungen zwischen der EU und Zentralasien durch die Einrichtung eines nachhaltigen, transdisziplinären Forschungs- und Stakeholdernetzwerks in Europa und Zentralasien stärken. Ziel des Konsortiums aus Think Tanks, Universitäten und NGOs in Europa und Zentralasien ist es, Forscher*innen, politische Entscheidungsträger*innen und Interessengruppen aus rund 41 europäischen, zentralasiatischen und anderen asiatischen Ländern bis 2020 miteinander zu verbinden.
  • ‚‚In Kooperation des Profilschwerpunkts WvGg mit dem Institut für Politikwissenschaft konnte das DFG-Projekt „The Demand Side of Clientelism“ von Dr. Miquel Pellicer an der UDE eingerichtet werden. In diesem Projekt werden individuelle Reaktionen zu Politikangeboten in Tunesien und Südafrika untersucht.

Die Transformation von Risiko und Wohlfahrt in sich ständig verändernden Kontexten

Die Wohlfahrt von Menschen und Gesellschaften ist neuen Herausforderungen ausgesetzt, die durch globale Veränderungen wie Deindustrialisierung, Tertiärisierung, demographischen Wandel, Klimawandel und politische Veränderungen ins Rollen gebracht werden. Dabei ändern sich die Risikostrukturen für individuelle, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Akteure. Wie gehen diese Akteure mit den neuen Herausforderungen um? Was bedingt die unterschiedlichen Kristallisationen von Risiken und Wohlfahrt für unterschiedliche Akteure? Wie entwickelt sich der Komplexitätsgrad von Risiken und daraus folgenden Konsequenzen für Individuen und kollektive Akteure?

  • ‚‚Im Projekt „The Perception and Management of Neuralgic Societal Risk in the 21st Century“ (gefördert durch die Hamburger Funk-Stiftung) unter der Leitung von Prof. Achim Goerres, Prof. Rüdiger Kiesel und Prof. Andreas Niederberger untersuchen Finanzmathematiker*innen, Philosoph*innen und Politikwissenschaftler*innen, wie Öffentlichkeit und Entscheidungsträger*innen im 21. Jahrhundert mit „Big Risks“ wie Klimawandel, demographischem Wandel und Staatsschulden umgehen. Inwiefern werden Klimawandel und gesellschaftliche Alterung als zentrale Gefahren und Möglichkeiten in modernen Gesellschaften wahrgenommen und durch den Markt und die Politik gesteuert? Die im Rahmen des Projektes durchgeführten Risk Lectures und Workshops ermöglichen weiterhin inhaltliche Anknüpfungspunkte zu weiteren Wissenschaftler*innen.
  • ‚‚Das DFG-Graduiertenkolleg 1613 Risk and East Asia untersucht aus einer institutionalistischen Perspektive, wie sich die Verantwortlichkeiten für Risiken in Ostasien zwischen Markt, Politik und Familie verschieben. In diesem Kolleg werden dabei vier Unterthemen bearbeitet: Vermarktlichung, soziale Organisationen, Interaktionen zwischen Zentralstaats- und lokaler Ebene sowie Transnationalisierung.
  • ‚‚Im politikwissenschaftlichen Teil des BMBFProjektes „Multiple Risiken (MuRiStem): Kontingenzbewältigung in der Stammzellforschung und ihren Anwendungen“ (Projektleitung Prof. Renate Martinsen) werden gesellschaftliche Diskurse zu Chancen und Risiken der Stammzellforschung und ihrer Anwendung mit Mitteln der qualitativen Sozialforschung einer differenzierten Analyse unterzogen und für die politische Praxis verfügbar gemacht. Dabei wird davon ausgegangen, dass die positiven und negativen Visionen, die in den zukunftsorientierten Diskursen transportiert werden, eine steuernde Wirkung in der Gegenwart entfalten sowie Prognosen bezüglich der Anschlussfähigkeit konkreter Entscheidungspolitiken in den unterschiedlichen Bereichen der Stammzellforschung und -praxis an die gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse ermöglichen. Durch den Einbezug gesellschaftlicher Akteure in politische Willensbildungsprozesse wird gegenwärtig zunehmend versucht, die Legitimation von politischen Entscheidungen in sensiblen Policy-Feldern auf eine sozial breitere Basis zu stellen. Es wächst die Kontingenz von Entscheidungen, die – sobald sie einen Bezug auf kollektiv verbindliches Entscheiden aufweisen – zu „politischen“ Risiken transformiert werden und damit auf politische Entscheidungsträger zurechenbar sind.

Internationale Migration

Internationale Migration ist ein zentrales Phänomen der Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ihre Ursachen im Herkunftsland und Ankunftsland sowie ihre Konsequenzen auf kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene sind wichtiger Bestandteil der sozialen und politischen Ordnungssetzung. Die international vergleichende Analyse dieser Muster aus einer interdisziplinären Sicht ist ein wichtiger Fokus innerhalb des Profilschwerpunkts. Wer migriert und warum? Was sind die Makro- oder Mesofaktoren, die individuelles Handeln und Denken bestimmen? Welche Konsequenzen haben Migrant*innenströme für Gesellschaften, für die Wirtschaft und für die Politik? Gibt es so etwas wie „optimale“ Migrationsflüsse? Inwieweit ist internationale Migration im historischen Vergleich die Norm und nicht die Ausnahme? Wie verändern sich Kulturen durch Emigration und Immigration? Wie wird Denken in einer Welt mit hohen Migrationsströmen verändert?

Zentrale Projekte aus diesem Themenbereich im Profilschwerpunkt WvGg sind aktuell z.B.:

  • ‚‚Mit dem MERCUR-Forschungsprojekt „Ethik der Immigration“ verfolgen Prof. Andreas Niederberger (Politische Philosophie) und Prof. Volker Heins (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) gemeinsam mit Kolleg*innen der TU Dortmund und der RUB das Ziel, ein präziseres und adäquates Verständnis eines globalen Rechts auf Bewegungsfreiheit zu entwickeln. Dazu untersuchen sie, ob unterschiedliche Migrationsgründe das Recht auf Zuwanderung stärken oder eingrenzen, welche Ansprüche bzw. Pflichten sich aus den Zuwanderungsmotiven ableiten lassen und inwieweit es moralisch zulässig ist, Einwanderer auszuschließen.
  • ‚‚Im Oktober 2016 hat am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft in Kooperation mit der Universität zu Köln das DFG-geförderte Drittmittelprojekt „Das Wahlverhalten von Deutschen mit Migrationshintergrund: Die erste Migrantenwahlstudie anlässlich der Bundestagswahl 2017“ begonnen. Ziel des Projektes ist es, für die Bundestagswahl 2017 die erste deutsche Wahlstudie unter deutschen Staatsbürger*innen mit Migrationshintergrund durchzuführen, d.h. unter solchen Personen, die entweder selbst nach Deutschland immigriert sind oder die mindestens einen Elternteil mit eigener Migrationserfahrung haben. Das Projekt wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft von Oktober 2016 bis September 2019 gefördert.
  • Die neu startende Nachwuchsforschungsgruppe „Migration und Sozialpolitik: Studien zur Governance, Gestaltung und Nutzung von (lokaler) Sozialpolitik im Zeichen der Flüchtlingsmigration“, angesiedelt im IAQ und finanziert durch das Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS) des Bundeministerium für Arbeit und Soziales soll einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, wie Kommunen mit dem sozialen Bedarf von Migrant*innen (insbesondere Geflüchteten) umgehen und wie jene sozialstaatliche Leistungen nutzen bzw. welchen Wert diese für sie haben.

Wissenschaftlicher Nachwuchs und Promotionsprogramme

Durch die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Mediale Diskursivierungen von Arbeit“ konnte unter der Leitung von Prof. Christoph Bieber (Institut für Politikwissenschaften), drei Kolleg*innen aus der Germanistik (Dr. Thomas Ernst, Prof. Rolf Parr und Prof. Alexandra Pontzen) sowie weiteren Kolleg*innen der UDE erfolgreich das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Promotionskolleg „Die Arbeit und ihre Subjekte. Mediale Diskursivierungen seit 1960“ eingeworben werden, das im Januar 2016 die Arbeit aufnahm. Im Zentrum des Kollegs steht die Frage, wie Wissen über Arbeit aus verschiedenen Spezialdiskursen in Medien wie Film, Fernsehen, Presse, Radio, digitale Medien, Literatur, Theater und Musik aufgenommen, weiterverarbeitet und immer wieder zu neuen komplexen Gegenständen der ‚Arbeit‘ zusammengeführt wird.

Wie kann Kontingenz durch Handeln bewältigt werden und wie denken Menschen über das Verhältnis zwischen gegenwärtigem Denken und Handeln einerseits und ihrer unsicheren (oder auch sicher geglaubten) Zukunft andererseits? Mit der historischen Dimension dieser höchst aktuellen Fragen beschäftigen sich die Historiker*innen um Prof. Stefan Brakensiek und Prof. Benjamin Scheller an der UDE im DFGGraduiertenkolleg „Vorsorge, Voraussicht und Vorhersage: Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“. Die beteiligten Historiker*innen hinterfragen und erweitern damit theoretische Überlegungen, die von einem prinzipiell neuen Verhältnis zur Kontingenz als eines der Charakteristika der Moderne ausgehen.

Gleich zwei Programme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses lassen sich am Institut für Ostasienwissenschaften (IN-EAST) verorten. Die vom BMBF geförderte „IN-EAST School of Advanced Studies“ analysiert die fortschreitende technische Innovation Ostasiens, insbesondere mit Blick auf die Unterstützung der Gesellschaft und Annahme durch diese. Die Forschungsprojekte der IN-EAST School of Advanced Studies gehen dabei von der Grundannahme aus, dass Innovationen nicht allein technologischer Natur sind, sondern dass sie in ihrer Entstehung und Verbreitung von ihrer Einbettung in Institutionen abhängen. Auf dieser Grundlage werden die Besonderheiten von Innovationsprozessen in Ostasien analysiert und verglichen. Bereits in der zweiten Förderphase befindet sich das am IN-EAST angesiedelte DFG-Graduiertenkolleg 1613 „Risk and East Asia“. Die verschiedenen Promotionsprojekte der beteiligten Mitarbeiter*innen lassen sich den vier großen Prozessen gegenwärtiger sozialer Transformation Marketisierung, Individualisierung, Dezentralisierung und Transnationalisierung zuordnen und erlauben Rückschlüsse auf Universalität und Spezifizität des Institutionenwandels in Ostasien.

Seit 2017 ist das Institut für Soziologie der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der UDE assoziierter Partner der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE). Die IMPRS-SPCE ist ein vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) und von der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln gemeinsam getragenes internationales Doktorandenprogramm im Bereich der Wirtschaftssoziologie und politischen Ökonomie. Forschungsschwerpunkt des Doktorand*innenprogramms sind die sozialen und politischen Grundlagen moderner Ökonomien. Untersucht werden die komplexen Beziehungen zwischen wirtschaftlichem und sozialem Handeln. Affiliierte Fakultätsmitglieder der IMPRS-SPCE von Seiten der UDE bzw. des Profilschwerpunkts WvGg sind Prof. Sigrid Quack und Prof. Karen Shire. Weitere inhaltliche Querverbindungen gibt es zum Themenschwerpunkt Transformation von Wohlfahrt und Risiko insofern, als der Direktor des MPIfG Prof. Jens Beckert die dritte Risk Lecture in der Forschergruppe „Big Risks“ gehalten hat.

Durch die zunehmende Strahlkraft des Profilschwerpunkts WvGg als interdisziplinäres Netzwerk konnte in Zusammenarbeit mit Vertreter*innen des PSP-Forschungsrates, dem neuen Institut für Sozioökonomie (Prof. Till van Treeck) sowie dem Institut Arbeit und Qualifikation (Prof. Ute Klammer) die Bewerbung eines NRW-Rückkehrers erfolgreich begleitet werden. Prof. Paul Marx (politische Ökonomie und politische Soziologie) von der Universität Odense konnte sich als erster Gesellschaftswissenschaftler im NRW-Rückkehrerprogramm durchsetzen und wird seine Forschung an der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der UDE im Jahr 2018 beginnen.