Forschung
Im Zentrum der Forschung steht die Kernaufgabe, die Möglichkeiten und Hindernisse für grenzüberschreitende Kooperation zu ergründen und besser zu verstehen. Am Kolleg entwickeln Forscher*innen aus verschiedenen Fachrichtungen und allen Weltregionen die Umrisse einer zeitgemäßen Kooperationsforschung, um neue Wege globaler Politikgestaltung zur Krisenbewältigung und zum Schutz der globalen Gemeingüter zu erkunden. Ziel des Kollegs ist es, zum Knotenpunkt eines sich daraus entwickelnden Forschungszweiges zu werden. Drängende transnationale Probleme wie etwa der Klimawandel, globale Finanzkrisen oder akute Krisensituationen wie derzeit in Syrien verdeutlichen die zentrale Bedeutung globaler Kooperation und damit einhergehend auch der Kooperationsforschung. Seit seiner Gründung im Februar 2012 waren 107 Politikwissenschaftler*innen, Soziolog*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen, Historiker* innen, Rechtswissenschaftler*innen, Kulturwissenschaftler*innen, Philosoph*innen und Anthropolog*innen aus 30 Ländern und allen Kontinenten zu Gast am Käte Hamburger Kolleg.
Die Projekte der Fellows, die das Herzstück der Forschung am Kolleg bilden, sind traditionell den vier thematischen Forschungsbereichen zugeordnet:
- Forschungsbereich 1 „Die (Un-)Möglichkeit von Kooperation“ beschäftigt sich mit der Frage, ob und wenn ja wie Kooperation auf globaler Ebene gelingen kann. Dabei spielt im multidisziplinären Forschungsbereich immer das Ziel eine Rolle, Erkenntnisse von der Mikro-Ebene, etwa aus der experimentellen Forschung zu Kooperation in Kleingruppen, auf die wesentlich komplexere Makro-Ebene internationaler Verhandlungen, etwa im Bereich der Klimaverhandlungen, zu übertragen. Im Jahr 2016 wurde der Blick auf die neuen Akteure in der globalen Öffentlichkeit gelegt. Neben der Frage von „aufsteigenden Mächten“ und neuen Geberländern stand dabei insbesondere die Existenz von Clubs und Vereinigungen zur Erreichung bestimmter Politikziele im Vordergrund. Mit Forschungsprojekten, die von Peacebuilding über Klimathematiken bis hin zu Wirtschaftspolitik ein breites Spektrum aktueller globaler Problematiken abdeckten, konnte der Forschungsbereich damit eine wichtige Grundlage für das Jahr 2017 legen, in dem die Szenarienbildung im Vordergrund stand. Die dritte Meisterklasse des Kollegs zum Thema „Future Scenarios of Global Cooperation – Practices and Challenges“, die im März 2017 stattfand, stand hierbei im Mittelpunkt.
- Forschungsbereich 2 „Globale Kulturkonflikte und transkulturelle Kooperation“ befasst sich mit der Frage, wie kulturelle und religiöse Überzeugungen und Weltbilder globale Kooperation beeinflussen. Eines der Ziele des Forschungsbereichs ist es, die kulturellen Bedeutungen zu untersuchen, die verschiedenen Narrativen und Praktiken von Kooperation zu Grunde liegen. Dazu werden Situationen untersucht, in denen globale und transnationale Konflikte sich als schwer lösbar erweisen, weil sie als „kulturell“ interpretiert und erfahren werden. Eines der zentralen Themen, die 2015 begonnen und 2016 fortgesetzt wurden, war die regionale Gemeinschaftsbildung als Form der gemeinsamen Lösung kollektiver Probleme. Die Erkundung von Optionen und Theorien jenseits des utilitaristischen Paradigmas, die die Forschung zum Thema der regionalen Integration prägte, war auch Fluchtpunkt eines weiteren langfristigen Forschungsinteresses, des Paradigmas der Gabe. Erzwungene Migration war nicht nur eines der Testfelder für das Potenzial des Gabeparadigmas, sondern auch ein neuer thematischer Fokus des Forschungsbereichs. Das Thema war von besonderer aktueller Relevanz und lieferte gleichzeitig wichtige Einsichten an der Schnittstelle der Arbeitspakete zu transkulturellen Lerngemeinschaften. Im Jahr 2017 widmete sich der Forschungsbereich einer Vertiefung des Verständnisses von kulturellem Pluralismus und kultureller Selbstvergewisserung unter den Bedingungen der Globalisierung. Zum einen setzten wir unsere Bemühungen fort, die Herausforderungen von Flucht und Migration zu verstehen, wobei der Fokus primär auf das Erstarken von Antiimmigrationsbewegungen im Globalen Norden verlagert wurde. Zum anderen wurden andere Fälle antiglobalistischen Widerstands thematisiert. Ein wichtiges Testfeld waren hier die global-lokalen Konflikte, die im Kontext großer hydroelektrischer Staudammprojekte entstehen.
- Forschungsbereich 3 „Global Governance Revisited“ widmet sich kritisch der Frage, wie sich die zunehmende Heterogenität von politischen und professionellen Kulturen auf Global Governance auswirkt. Besondere Aufmerksamkeit gilt zum einen der Inklusion von nicht-westlichen, etwa chinesischen oder indischen, Perspektiven auf Weltordnung, und zum anderen den Folgen der Diversifizierung der politischen und professionellen Kulturen, konkret für internationale Verhandlungen (z.B. Klimapolitik). Letztgenanntes stand im Jahr 2016 im Vordergrund, fokusiert auf die Politik in internationalen Verhandlungsarenen. Zum einen wurde sich dem Thema analytisch über eine Sequenzierung von Verhandlungsprozessen angenähert, zum anderen standen Legitimitätsansprüche in Verhandlungen im Zentrum der Analyse. Daneben widmete sich der Forschungsbereich der Frage von Autorität und Legitimität in internationalen Institutionen. Es ist offensichtlich, dass auf globaler Ebene, jenseits des Referenzrahmens etablierter staatlicher Herrschaft und ihrer Legitimation qua Recht und eingespielter Verfahren, Äquivalente gefunden werden müssen, um Autorität zu etablieren und zu legitimieren, damit dauerhaft stabile und als legitim anerkannte Kooperation möglich ist. Im Jahr 2017 stand ähnlich wie bei Forschungsbereich 1 die Szenarienbildung im Mittelpunkt und hier das Projekt „Vorausschauende Migrationspolitik - Szenarien zur Dynamik zwischen Westafrika und Europa“.
- Forschungsbereich 4 „Demokratisierungsparadoxe und perspektiven“ beschäftigt sich zunehmend mit der Bedeutung von Narrativen für gelingende Kooperation und untersucht, welche Rolle narrative Muster und fiktive Elemente bei der Beschreibung, Definition und Aushandlung von Problemstellungen im Kontext globaler Kooperation spielen. Im Jahr 2016 hat der Forschungsbereich die enge Verzahnung zwischen konzeptionellen Überlegungen und empirischer Forschungsarbeit konsequent weitergeführt. Die bisherige methodologische Ausrichtung von praxis- und erzähltheoretische Perspektiven auf Forschungsfelder globaler Kooperation wurde intensiviert. Zudem wurde in den Forschungsaktivitäten mit dem Themenschwerpunkt „Legitimation und Partizipation“ ein empirischer Schwerpunkt auf umstrittene Legitimitätsfragen demokratischen Regierens in verschiedenen Politikfeldern gelegt. Auch hierbei wurde deutlich, dass die bisherige Mikrofundierung auf politische Praktiken und Narrative nach wie vor analytisch gewinnbringend ist. Legitimität wird demnach nicht mehr funktionalistisch erforscht, sondern prozessual anhand der Legitimitätsansprüche politischer Akteure, die in Praktiken diskursiv ausgehandelt werden. Die Rolle von Bildern und anderen visuellen Artefakten wurde als zusätzliche Kategorie entdeckt, um Prozesse der Legitimierung als auch der Delegitimierung zu erforschen. Im Jahr 2017 behandelte das Kolleg u.a. die Frage, wie sich die politische Strategieentwicklung verändert hat und ändern muss, um mit der gegenwärtigen Krisenlage produktiv umzugehen, auch unter Einbeziehung der erzählerischen Dimension in der Projektionsfläche von Zukunftsvorstellungen.
Auch wenn die vier Forschungsbereiche nach wie vor die organisatorischen Pfeiler des Kollegs sind, hat sich in der Arbeit der letzten Jahren vermehrt gezeigt, dass der inhaltlichthematische Austausch zwischen den Forschungsbereichen zunimmt und bisweilen ähnliche Kernthemen aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet werden. Es erschien daher sinnvoll, eine Umschreibung der Forschungsagenda jenseits der Forschungsbereiche auszuarbeiten, um einen weiteren Zugang zum besseren Verständnis der Arbeit am Kolleg zu geben, die auf der Homepage des Kollegs einsehbar war (www.gcr21.org).