Forschung

Da weder die männliche noch die weibliche Erfahrung für sich genommen einen ganzheitlichen Blick auf die gesellschaftliche Realität liefern, nimmt das Essener Kolleg für Geschlechterforschung (EKfG) das Verhältnis der Geschlechter in den Blick und untersucht Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Hinblick auf das biologische Geschlecht (sex) und die soziale Konstruktion von Geschlecht (gender). Dabei begreift der intersektionale Ansatz des Kollegs die Kategorie Geschlecht als verwoben mit weiteren Merkmalen, die Menschen voneinander unterscheiden, wie beispielsweise sozio-ökonomische Situation, ethnische Herkunft, Bildungshintergrund, Klassen- oder Schichtzugehörigkeit oder Alter.

Die Zusammenarbeit von 51 Mitgliedern aus 7 verschiedenen Fakultäten, einschließlich der Medizin, prägt die Arbeit in der fachübergreifenden Forschung des Kollegs. Die Forschungsexpertise der Mitglieder wird aktuell in drei interdisziplinären Themenclustern zu zentralen gesellschaftlichen Fragen gebündelt. Als integrative Oberthemen, unter denen sich Forschungs-, Promotions- und Habilitationsvorhaben verorten lassen, bieten diese zugleich universitätsweit Anknüpfungspunkte für gemeinsame Projektvorhaben:

Biomedizinische Forschung und klinische Medizin

 

In diesem Cluster verorten sich Projekte zur experimentellen Tumorforschung, zur medizinischen Psychologie und Verhaltensimmunbiologie (Schmerz, Stress, Krankheitsverarbeitung), zur Molekulargenetik (Adipositas und Essstörungen) sowie zur Bedeutung von Geschlechterunterschieden für differenzierte diagnostische und therapeutische Verfahren.

Im Berichtszeitraum besonders hervorzuheben sind die DFG-Teilprojekte TP A10 “From Pavlov to pain: extinction learning in visceral pain” (2017–2021) und TP A12 “The impact of inflammation on the extinction of pain-related fear in humans” im SFB 1280 Extinction Learning (2017–2021) sowie das BMBF-Projekt „Entwicklung einer offenen Austauschplattform „GenderMed Wiki“ (2016–2017). Die Vortragsreihe „Geschlechteraspekte in biomedizinischer Forschung und klinischer Medizin“ möchte für die Bedeutung von Geschlechterunterschieden sowohl in der präklinischen und klinischen Forschung als auch in der klinischen Medizin bzw. im breiten Kontext „Gesundheit/Krankheit“ sensibilisieren. Die Vorträge, die im Rahmen des Dienstagsseminars der Medizinischen Fakultät am Universitätsklinikum Essen stattfinden, haben das Ziel, insbesondere Mediziner*innen in Forschung und Klinik sowie den wissenschaftlichen Nachwuchs am Universitätsklinikum Essen, aber auch ein interessiertes öffentliches Publikum zu erreichen.

Arbeitswelten, Handlungsstrategien, Machtstrukturen

 

Ausgehend von einem sowohl den Erwerbsals auch den Fürsorgebereich umfassenden Arbeitsbegriff liegt der Schwerpunkt der Forschungstätigkeiten in diesem Cluster auf der empirischen wie theoretischen Untersuchung von Fragen nach Verflechtungen der Arbeitssphäre, der Untersuchung von Handlungsstrategien sowie der Analyse gesellschaftlicher Machtstrukturen in historischer, kultureller und intersektionaler Perspektive. Eine inhaltliche Stärkung der gemeinsamen Arbeit erfolgte 2016 u.a. durch die Wiederbesetzung der Netzwerkprofessur für Soziologie mit Schwerpunkt Soziale Ungleichheit und Genderforschung. Unter den Projekten der beteiligten Forscher*innen besonders herauszustellen ist das DFG-Projekt: „Female Employment Patterns, Fertility, Labor Market Reforms, and Firms“ (2017–2020) im Rahmen des DFG-Schwerpunkt Schwerpunktprogramms 1764 „Der deutsche Arbeitsmarkt in der Globalisierung: Herausforderungen durch Handel, Technologie und Demographie“, das DFG-Projekt: „Die ambivalente Bedeutung betrieblicher Strukturen für die Erklärung sozialer Ungleichheit zwischen Frauen und Männern – Analysen mit dem SOEP-LEE“ (2016–2018) sowie die im Rahmen der MIWF NRW-Projekte „Gender-Report 2017: ‚Berufliche Orientierung von Ärztinnen und Ärzten in der fachärztlichen Weiterbildung an nordrhein-westfälischen Universitäten“ (2014–2017) und „Gender Report 2019: Geschlechter(un)gerechtigkeit an nordrhein- westfälischen Hochschulen“ (2017–2019) vorgenommenen bzw. geplanten Untersuchungen.

Die 2017 geschaffene interdisziplinäre EKfGProjektgruppe Effekte der Digitalisierung untersucht geschlechtsspezifische Auswirkungen der durch Digitalisierung veränderten Arbeitsinhalte und Organisation von Erwerbsarbeit auf die Teilnahme am Erwerbsleben.

Erwähnenswert sind ferner die Organisation eines von der Volkswagen-Stiftung finanzierten interdisziplinären Symposiums zum Thema „Gewalt, Krieg und Gender im Mittelalter“ (2016). Der von der Universität Bielefeld koordinierte BMBF-Forschungsverbund „Gesundheitliche Grundbildung (Health Literacy) im Kindes- und Jugendalter als Ziel von Gesundheitsförderung und Primärprävention“ (2015–2018) geht mit einem Querschnittsprojekt unter Beteiligung des EKfG in die zweite Förderphase (2018–2021). Eine Zusammenarbeit mit dem Steinbeis-Europa- Zentrum fand im Rahmen des BMBF-Projekts „GENERGIE - Gender in der Energietechnik“ (2015–2017) statt.

Wahrnehmung | Repräsentation | Sichtbarkeit

 

Das dritte Cluster bündelt Forschungsansätze, die genderspezifische Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung, Repräsentation und (Un-)Sichtbarkeit von Frauen und Männern in Sprache und Bildern wissenschaftlich bearbeiten. In den vertretenen Fächern und Disziplinen werden diese Fragestellungen u.a. in Literatur, Kunst und Sprache sowie in Gesellschaft, Medien und Politik untersucht. Ebenfalls interdisziplinär ausgerichtet verbindet das Cluster historische mit gegenwartsbezogener Forschung, die häufig eine interkulturelle Perspektive beinhaltet.

Besonders zu erwähnen sind die Beteiligung von Clustermitgliedern an der Antragstellung für die Forschungsgruppe „Ambiguität und Unterscheidung. Historisch-kulturelle Dynamiken“ mit dem EKfG als kooperierender Institution. Die neu konstituierte interdisziplinäre EKfG-Projektgruppe Privatheit und Gendering nimmt die Veränderung medialer Angebote und Sichtbarkeiten sowie die Erörterung bzw. Neubestimmung der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit in den Blick.

Die Forschung in diesem Cluster wurde unterstützt durch die Veranstaltung von fächerübergreifenden Forschungskolloquien mit externen Gästen aus Süd-Afrika, Pakistan, den USA und Australien, die sich zum überwiegenden Teil intersektionalen und postkolonialen Perspektiven widmeten. Der Ausbau der internationalen Zusammenarbeit erfolgte ferner über die Einwerbung eines Stipendiums im Rahmen der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung für die Geschlechterforscherin Prof. Shirin Zubair, Ph.D. aus Pakistan (2016–2017) durch die Professur für Postcolonial Studies.

Die Herausgabe der Publikation „Einschließungen und Ausgrenzungen. Zur Intersektionalität von Religion, Geschlecht und sozialem Status für religiöse Bildung“ (Knauth & Jochimsen 2017) zusammen mit der Arbeitsstelle interreligiöses Lernen (AiL) sowie die Kooperation mit dem Arbeitskreis Politik und Geschlecht in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft im Zuge von dessen Jahrestagung 2017 „Intersektionale und postkolonial-feministische Perspektiven als Instrumente einer politikwissenschaftlichen Macht- und Herrschaftskritik“ unterstreichen das Engagement des Kollegs auf diesem Gebiet. Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit innerhalb der Strukturen der Universität wurden u.a. mit dem Profilschwerpunkt „Wandel von Gegenwartsgesellschaften“ und dem 2016 gegründeten Interdisziplinären Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung (InZentIM) in Workshops ausgelotet.