Fakultät für Biologie
Forschungsschwerpunkt Medizinische Biologie
Der Forschungsschwerpunkt „Medizinische Biologie“ ist dem Zentrum für Medizinische Biotechnologie (ZMB) zugeordnet, dem auch Arbeitsgruppen der Medizinischen Fakultät sowie der Fakultät für Chemie angehören. Die elf biologischen Arbeitsgruppen des ZMB tragen die Studiengänge BSc und MSc „Medizinische Biologie“, darüber hinaus tragen sie zu den Bachelor- und Masterstudiengängen Biologie und Lehramt Biologie bei. Der Forschungsschwerpunkt Medizinische Biologie verfügt über folgende Core Facilities: Analytics Core Facilities (ACE), Imaging Centre Campus Essen (ICCE), Imaging Centre Essen (IMCES) sowie NMR Spectroscopy. Darüber hinaus betreibt das ZMB am Standort Essen ein Maushaus. Die Forschung konzentriert sich auf die Themen „Oncology“, „Immunology, Infectious Diseases and Transplantation“ sowie „Molecular and Chemical Cell Biology“. Die biologischen Arbeitsgruppen des ZMB sind maßgeblich am SFB 1093 „Supramolecular Chemistry on Proteins“ beteiligt sowie am Transregional Collborative Research Centre 60, an vier Graduiertenkollegs sowie an der Forschergruppe 2123.
Die Arbeitsgruppe Strukturelle und Medizinische Biochemie (Prof. Peter Bayer) befasst sich mit der Interaktion und der post-translationalen Modifikation von Proteinen. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1093 „Supramolecular Chemistry on Proteins“ hat die Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Hemmo Meyer (Molekularbiologie I) in den letzten beiden Jahren die Interaktion von p97 mit seinem Kofaktor UBXD1 auf molekularer Ebene mit Hilfe der NMR strukturell untersucht (1). p97 (auch VCP genannt) ist eine AAA-ATPase die an der Zellzyklus-Regulation, der DNA-Reparatur und im Proteinabbau beteiligt ist. Mutationen in p97, welche die Wechselwirkung von p97 und UBXD1 betreffen, können folglich zur Ausbildung neurodegenerativen Erkrankungen führen. Dabei ist es in Kooperation mit Thomas Schrader (Organische Chemie) gelungen, diese krankheitsrelevante Wechselwirkung mittels supramolekularer Liganden erfolgreich zu inhibieren. In ähnlicher Weise wird in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Shirley Knauer (Molekularbiologie II) die Wechselwirkung des Apoptose-relevanten Proteins Survivin mit supramolekularen Pinzetten untersucht. Im Bereich der Peptidyl-Prolyl-Isomerasen (PPIase) konnten erstmalig gezeigt werden, dass PPIasen in archealen Organismen endogen exprimiert werden und es gelang, die Strukturen, Lokalisation und die zelluläre Funktion von Vertretern dieser Enzyme mit NMR, TEM und Enzymassays aufzuklären (2).
Die Arbeitsgruppe um Prof. Hemmo Meyer erforscht die zellulären Abwehrstrategien gegen Stress-induzierte Schädigungen und wie sie durch das Ubiquitin-Proteasome-System vermittelt werden, um das Überleben und Funktionsfähigkeit der Zellen zu gewährleisten. Körperzellen sind ständig Stressen ausgesetzt, die ihre Organellen, ihre DNS und ihre Proteine schädigen können. Zu diesen Stressen gehören Bestrahlung, oxidative Stoffe, Pathogene sowie zelleigene Faktoren, die Alterungs- und degenerativen Prozesse beschleunigen können. Ein besonderer Fokus der Forschung ist eine molekulare Maschine, die als p97 bezeichnet wird. Zusammen mit Neurolog*innen von der Washington Universität St. Louis konnte die Gruppe nun aufdecken, dass p97 auf defekte Lysosomen reagiert und mittels weiterer Faktoren dafür sorgt, dass diese Organellen nach Schädigung effizient durch den Prozess der Autophagie entsorgt werden. Es wird nun angenommen, dass auf diese Weise die Degeneration von Muskel- und Nervenzellen verhindert wird, die bei Mutation von p97 im Menschen auftritt, aber auch in einer Vielzahl anderer degenerativer Erkrankungen eine Rolle spielt. Außerdem konnte die Gruppe in Zusammenarbeit mit Molekularbiolog*innen der Rockefeller Universität zeigen, dass p97 auf die Schädigung von DNS durch gefährliche Doppelstrangbrüche reagiert. Hier nutzt p97 seine erstaunliche Fähigkeit, Proteine zu entfalten, um Reparatur-Faktoren nach der Reparatur von der DNS abzuziehen, damit diese DNS wieder ihre Funktion erfüllen kann. Das Ziel ist nun in beiden Projekten, die zu Grunde liegenden molekularen Mechanismen weiter zu verstehen, nicht zuletzt um mögliche Strategien aufzudecken, wie man therapeutisch in diese Prozesse eingreifen kann.
Um die DNA-Replikation im Menschen zu untersuchen, erforscht die Arbeitsgruppe um Prof. Dominik Boos zur Zeit die zellulären Funktionen und Regulationen des Proteinkomplexes aus Treslin, MTBP und TopBP1, der eine Hauptregulationsplattform des ersten Schritts der Replikation, der Initiation, darstellt (Boos und Diffley 2011 und 2013). Um die Konstanz der genetischen Information über viele Generationen von Zellen und Organismen zu gewährleisten, muss jede Zelle bei ihrer Entstehung durch Zellteilung einen kompletten fehlerfreien Satz der genetischen Information erhalten. Die AG Boos möchte herausfinden, wie menschliche Zellen es schaffen, ihre DNA durch DNA-Replikation korrekt zu duplizieren, um je einen Satz der genetischen Information für beide Tochterzellen zur Verfügung zu haben. Wenn die DNA-Replikation fehlerhaft ist, kommt durch Mutationen zur Krebsentstehung und zur Vererbung von Krankheiten. Im Rahmen eines NRW-Rückkehrer-Projektes untersucht die AG Boos seit 2015 die molekularen und zellulären Funktionen von Treslin und MTBP. Eine natürliche Erweiterung dieser Forschung wurde durch die Teilnahme der AG Boos am GRK1739 seit 2016 möglich. Dabei wird die Regulation der Replikation nach Induktion von DNA-Schäden durch radioaktive Bestrahlung von Zellen untersucht. Außerdem untersucht die AG Boos seit 2016, wie der Treslin-MTBP-TopBP1 Proteinkomplex bei der Krebsprädisposition beteiligt ist. Dies geschieht in Kollaboration mit der AG Kratz in Hannover und wird durch die Jose Carreras Leukämiestiftung unterstützt.
Der wissenschaftliche Schwerpunkt der Arbeitsgruppe von Prof. Perihan Nalbant sind Signalkaskaden, welche das Aktinzytoskelett während dynamischen zellulären Prozessen kontrollieren. Dabei stehen die Proteine der Rho-GTPase Familie im Fokus, die als Schlüsselregulatoren von Zellfortsätzen (Rac1 und Cdc42) und Aktin-Myosin Kontraktionen (RhoA) gelten. Ein wichtiges Ziel der Gruppe ist es, mit Hilfe von modernen fluoreszenzmikroskopischen Lebendzellansätzen sowie zell- und molekular-biologischen Methoden nicht nur die Regulation dieser Aktin-basierten Strukturen zu entschlüsseln, sondern auch ihre Rolle in wichtigen zellulären Prozessen zu verstehen. Mit Hilfe von TIRF-M (interne Totalreflektionsfluoreszenzmikroskopie) konnte die Arbeitsgruppe kürzlich in adhärenten Zellen dynamische, sub-zelluläre Aktin-Myosin Kontraktionen zeigen und ihre Regulation durch ein selbstorganisiertes Rho-GTPase Signalnetzwerke entschlüsseln. Derzeit untersucht die Gruppe eine potentielle sensorische Rolle der dynamischen Kontraktionsmuster in der Kontrolle des Zellschicksals in Abhängigkeit von den physikalischen Eigenschaften der extrazelullären Matrix.
Die Arbeitsgruppe Molekularbiologie II von Prof. Shirley Knauer beschäftigt sich mit den beiden onkologisch und Entwicklungs-relevanten Proteinen Survivin und Taspase 1, einer Protease. Im Fokus der Arbeiten steht hierbei das Verständnis der Regulation des Kern-Zytoplasma-Transports und dessen Bedeutung für die zelluläre Homöostase, insbesondere den Zellzyklus und Entscheidungen, welche das Zellschicksal beeinflussen, die maligne Transformation bei der Krebsentstehung sowie als potentieller Angriffspunkt für neue Therapiestrategien. Arbeiten der letzten Jahre konnten unter anderem die evolutionäre Entwicklung des proteolytischen Repertoires von Taspase 1 näher beleuchten. Deren evolutionäre Divergenz führt zu einer Spezies-spezifischen Substraterkennung, was neben der weniger stringent definierten Erkennungssequenz auch auf eine fehlende nukleoläre Lokalisation in anderen Spezies zurückzuführen ist, wie Studien an dem homologen Enzym aus der Fruchtfliege Drosophila zeigen konnten. In Kooperation mit dem Arbeitskreis Organische Chemie von Prof. Carsten Schmuck, auch als Mitglied des Centrums für Nanointegration Duisburg-Essen (CENIDE), entwickeln wir seit mehreren Jahren erfolgreich neuartige Gentransfektions-Reagenzien, welche auch zur Herabregulierung von Survivin in unterschiedlichen Krebszelllinien eingesetzt werden. Aktuell konnten große Fortschritte durch den Einbau maßgeschneiderter Anionen-Bindemotive sowie nicht-natürlicher Aminosäure-Analoga zur Ausbildung von Nanoröhren erzielt werden.
Bioaktive, chemische Wirkstoffe stellen wertvolle Ausgangssubstanzen zur Entwicklung neuer Chemotherapeutika als auch als Werkzeuge zur biologischen Grundlagenforschung dar. In der Arbeitsgruppe Chemische Biologie (Prof. Markus Kaiser) werden strukturell neuartige chemische Wirkstoffe synthetisiert, auf ihre biomedizinischen Eigenschaften getestet und bei einer vielversprechenden biologischen Aktivität die zugrundeliegenden molekularen Wirkmechanismen aufgeklärt. Im Rahmen dieser Arbeiten gelang es dabei zum Beispiel, den Polyacetylen-Naturstoff Callyspongynic acid erstmals chemisch darzustellen und dessen molekularen Wirkmechanismus mittels moderner, Massenspektrometrie-basierter Proteomik eingehend zu charakterisieren. Obwohl Polyacetylene eine große Familie an bioaktiven und chemotherapeutisch potentiell interessanten Naturstoffen darstellen, sind ihre molekularen Wirkmechanismen noch weitestgehend unbekannt. Mit der vorliegenden Arbeit konnte nun erstmals für einen Vertreter Polyacetylen-Naturstoffklasse gezeigt werden, dass diese polypharmakologisch auf viele unterschiedliche biologische Prozesse wirken.
Die Gruppe von Prof. Michael Ehrmann untersucht evolutionär konservierte zelluläre Faktoren, die an Schlüsselaspekten der Qualitätskontrolle beteiligt sind, wie beispielsweise der Detektion fehlgefalteter Proteine, Signalerkennung und Integration in die Reaktionswege entfalteter Proteine sowie Regeneration des funktionellen Zustands. Das Ziel dieser Studien besteht darin, die allgemeinen Konzepte aufzuzeigen, welche die der Diagnose, Reparatur und dem Abbau von Proteinen zugrundeliegenden Molekularmechanismen bestimmen. Den Schwerpunkt der Forschung bildet die hochkonservierte HtrA-Familie von Serinproteasen, die an allen Aspekten der ATP-unabhängigen Proteinqualitätskontrolle beteiligt sind. Es wurde aufgezeigt, dass ein Protein die antagonistischen Funktionen von Chaperon- und Proteaseaktivitäten innerhalb eines einzigen Polypeptids vereinen kann. Darüber hinaus wurde in Zusammenarbeit mit Tim Clausen (IMP Vienna) gezeigt, dass HtrAs zwischen verschiedenen oligomeren Zuständen wechseln können, und der Aktivierungsmechanismus durch Oligomerisierung wurde aufgeklärt. In den letzten Jahren hat die Erforschung von Human-HtrA1 dessen Beteiligung an Krebs (als Tumorsuppressor), an Arthritis (im Rahmen der Remodellierung der extrazellulären Matrix) und an der Alzheimer-Krankheit (im Rahmen der Disaggregation und des proteolytischen Abbaus amyloider Fibrillen, die Kennzeichen der Krankheit sind) aufgezeigt. Seit einigen Jahren nutzen Biotech- und Pharmaunternehmen, vorwiegend in Zusammenarbeit mit Prof. Markus Kaiser, chemisch-biologische Ansätze, um Werkzeuge für die Grundlagenforschung und Arzneimittelentwicklung bereitzustellen.
Die Abteilung Bioinformatics and Computational Biophysics (Prof. Daniel Hoffmann) hat in den letzten beiden Jahren quantitative statistische Methoden entwickelt, um biologische „Populationen“ zu erforschen. Populationen, verstanden in einem allgemeinen Sinn, sind zentral für viele biologische Phänomene in Evolution, Ökologie, Immunologie, etc. Außerdem erlauben Populationen die Anwendung mächtiger statistischer Verfahren, die Hinweise auf biologische Mechanismen liefern können. Einige Methoden wurden entwickelt, um Daten aus Hochdurchsatz-Sequenzierungen (HT-Seq) zu interpretieren. HT-Seq ist eine Gruppe revolutionärer experimenteller Methoden, die in der Lage sind, verschiedene biologische „Populations“-Aspekte zu messen. Beispiele für unsere neuen Methoden: SeqFeatR und genphen dienen der Entdeckung von Genotyp-Phänotyp-Zusammenhängen (z.B. zwischen einer Virus-Mutation und der Eigenschaft, dem Immunsystem zu entkommen); AmpliconDuo hilft bei der effektiven Prozessierung der riesigen verrauschten Datenmengen aus HT-Seq-Experimenten, z.B. aus ökologischen Gemeinschaften; MaxRank-Normalisierung erlaubt direkte quantitative Vergleiche zwischen Populationen (z.B. Darmflora, B-Zell-Rezeptor-Repertoires, virale Quasispecies). Die Anwendung dieser Methoden führte zu überraschenden Entdeckungen, beispielsweise von Mutationen die dem Hepatitis B Virus helfen, dem Immunsystem zu entkommen, oder der divergierenden Entwicklung der Darmflora zwischen USA und Malawi und Venezuela. Schließlich analysierten die AG mit rechnerischen Methoden auch Populationen von Molekülen und ihrer Konformationen. Dazu wurden neben wohl bekannten Simulationsmethoden (Molekulardynamik) auch neue schnelle Screening-Verfahren genutzt. Diese rechnerisch-molekularen Methoden helfen beim Finden von Verbindungen zwischen der großen Vielfalt biologischer Phänomene und der gemeinsamen molekularen Sprache aller Lebensprozesse.
Die Arbeitsgruppe Entwicklungsbiologie (Prof. Andrea Vortkamp) untersucht die molekularen Mechanismen, welche die Chondrozytendifferenzierung enchondraler Knochen steuern und deren Fehlregulation zu degenerativen Skeletterkrankungen, wie Osteoarthrose, führen. Zurzeit lieg ein Fokus der Arbeit in der Rolle von Heparansulfat (HS) als Regulator der extrazellulären Signalweiterleitung und Gewebehomöostase. Ein Fokus liegt auf der Frage, wie HS die Verteilung und Aktivität von Indian hedgehog, einem der Hauptregulatoren der Chondrozytendifferenzierung, steuert. Außerdem untersucht die AG den Einfluss von HS in der Degeneration des Gelenkknorpels. Ein zweiter Schwerpunkt beinhaltet die Rolle von Transkriptionsfaktoren und epigenetischen Modifikationen in der Regulation der Chondrozytendifferenzierung. Hierzu etabliert die AG mittels ChIP-Seq (Chromatin-Immunopräzipitation gefolgt von high throughput sequencing) die Chromatin Methylierungs- und Acetylierungsprofile definierter Chondrozytenpopulationen. Bioinformatische Analysen, die in Kooperation mit der Gruppe Hoffmann durchgeführt werden, sollen Mechanismen identifizieren, die direkte Differenzierungsprozesse, wie beispielsweise die Differenzierung von proliferierenden in hypertrophe oder artikuläre Chondrozyten, auf epigenetischer Ebene regulieren.
Bei der Zellteilung in Mitose und Meiose muss der genetische Bauplan verdoppelt und korrekt auf die Tochterzellen verteilt werden. Die Arbeitsgruppe um Prof. Stefan Westermann versucht zu verstehen, wie Zellen die Chromosomen mit hoher Genauigkeit während der Zellteilung weitergeben. Dazu werden zwei miteinander verwandte experimentelle Ansätze verfolgt: 1. Es wird eine genaue genetische und biochemische Analyse des Kinetochors der Bäckerhefe durchgeführt, um zu verstehen, wie diese komplizierte molekulare Maschine aufgebaut ist, so dass sie Chromosomen bewegen kann. 2. Es wird analysiert, wie Mikrotubuli durch molekulare Motoren und andere assoziierte Proteine organisiert und reguliert werden, so dass sie eine mitotische Spindel bilden können. Hierzu werden dynamische Mikrotubuli in vitro mittels hochsensitiver Fluoreszenzmikroskopie Verfahren untersucht. In aktuellen Experimenten konnte gezeigt werden, wie das mikrotubuli-bindende Element des Kinetochors, Ndc80 Komplex gennant, von anderen konservierten Komponenten des inneren Kinetochors organisiert wird, so dass eine Bindungsstelle für Mikrotubuli ensteht. Ausserdem wurde ein neuer molekularer Mechanismus beschrieben, durch den ein molekularer Motor und ein End-bindungs Protein gemeinsam die Richtung von Mikrotubuli Wachstum kontrollieren können. Dieser konservierte Mechanismus ist für die Bildung von parallelen Bündeln aus Mikrotubuli in vielen verschiedenen Zellen verantwortlich.