Sprache, Rhetorik, Identität
„Füge zu jedem Thema Marathon und Kynegeiros hinzu, ohne die überhaupt nichts geht. Auch soll jedes Mal der Athos durchsegelt, der Hellespont zu Fuß überschritten werden, die Sonne sich wegen der Medergeschosse verfinstern, Xerxes fliehen und Leonidas bewundert werden […].“ Diesen Rat gibt im zweiten Jahrhundert der Satiriker Lukian einem angehenden Rhetor. Welche literarischen, rhetorischen oder narrativen Strategien die Identitätsbildung der pepaideumenoi im Römischen Reich des ersten bis dritten Jahrhunderts humorvoll begleiten, kommentieren und hinterfragen, untersucht Isidor Brodersen M. Ed. in seiner Dissertation „Das Spiel mit der Vergangenheit in der Zweiten Sophistik“ (Betreuer: Prof. Wolfgang Blösel, Historisches Institut).
Seit 2017 hat die UDE am Institut für Anglophone Studien ein Sociolinguistics Lab (Leitung: Prof. Buchstaller). Hier wird u.a. die soziale Bedeutung linguistischer Variation erforscht. Wie nutzen Sprecher*innen und Gruppen sprachliche Variation, um Aspekte von individueller, regionaler, sozialer etc. Identität anzuzeigen? Für bestimmte Regionen Südafrikas erforscht Dr. Yolandi Ribbens-Klein die soziale Bedeutung rhotischer Variation. Christian Paga promoviert über die Verwendung von Multicultural London English im Musikstil Grime, und Dr. Teresa Pratt arbeitet zur Bedeutung von phonetischer Varianz und Aspekten des Lautwandels in Kalifornien. Auch die Frage, inwieweit sich Sprecher*innen im Laufe ihres Lebens an gesellschaftlichem sprachlichem Wandel beteiligen bzw. beteiligen können, wird am Lab in der Langzeitperspektive untersucht (Dr. Ribbens-Klein, Dr. Pratt und Prof. Buchstaller).
Soziolinguistische Forschung fokussiert nicht zuletzt die Verbindung zwischen Sprache und Ideologie. Sprecher*innen konstruieren ihre Überzeugungen aus sozio-kulturellen Erfahrungen und werden so beeinflusst vom Wandel der Gesellschaft. Örtliche Identitäten formen Diskurse von Zugehörigkeit und Ausschluss – und werden durch diese geformt. Dies spiegelt sich in der semiotischen Landschaft wider – in Gebäuden, Monumenten, Denkmälern, Straßennamen. Das „MILL street renaming project“ (Prof. Buchstaller, Dr. Seraphim Alvanides, Frauke Griese, Carolin Schneider zusammen mit Prof. Małgorzata Fabiszak, Universität Poznán) untersucht ideologisch begründete kommemorative Straßenumbenennungen in den letzten 100 Jahren in Ostdeutschland und Polen. Dr. Ribbens-Klein betrachtet den linguistischen Zusammenhang zwischen Ort und Zugehörigkeit anhand der diskursiven Konstruktion des Gegensatzes von „Einheimischen“ und „Neuankommlingen“ in Südafrika.
In Europa ist der Gegensatz zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen aktuell eines der beherrschenden Themen in Politik und Medien. Das Projekt „Die Sprache und Rhetorik des Rechtspopulismus im Ländervergleich Deutschland, Österreich, Niederlande und Flandern“ (Prof. Ute K. Boonen, Niederlandistik; Dr. Derya Gür-Şeker, Germanistik) betrachtet mittels diskursanalytischer Zugänge internetbasierte Kommunikationsformate. Mit einem Schwerpunkt auf der gesprochenen Sprache und der Visualisierung rechtspopulistischer Akteure wird gefragt, wie sie sich selbst auf YouTube und Facebook darstellen. Von zentralem Interesse sind Deutungsmuster in Bezug auf Nation, Identität, kulturelle Vielfalt und Europa (Profilschwerpunkt Wandel von Gegenwartsgesellschaften).