Forschung

Exemplarisch für die exzellente, methodisch diverse und innerhalb eines Schwerpunktes thematisch breite Forschung an der Fakultät Biologie werden neun aktuelle Forschungshighlights (davon fünf aus dem Bereich der Medizinischen Biologie, drei aus dem Forschungsschwerpunkt Wasser- und Umweltforschung und einer aus der empirischen Lehr- und Lernforschung) dargestellt.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Stefan Westermann (Medizinische Biologie) erforscht die molekularen Mechanismen der Zellteilung. Dabei interessiert sie sich insbesondere für einen Schritt in der Zellteilung, der sogenannten Chromosomen-Segregation, bei der die bereits duplizierten Chromosomen auf die zukünftig getrennten Zellen durch mechanische Kräfte verteilt werden. Dieser Schritt ist medizinisch besonders relevant, da eine Fehlregulation zum Beispiel zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs führen kann. Eine besondere Rolle in diesem Schritt innerhalb der Zellteilung spielt dabei das sogenannte Kinetochor, ein Multiproteinkomplex, das an die Chromosomen „ziehenden Seile“ in der Zelle, die Tubuline, bindet. Der räumliche Aufbau der Kinetochore ist bisher jedoch noch weitestgehend unbekannt. Um hier nun einen besseren Einblick zu gewinnen, hat die AG Westermann Kinetochore aus Hefe analysiert. Diese sind ähnlich wie humane Kinetochore aufgebaut, lassen sich jedoch mit anderen Methoden in ihrer Funktion analysieren. So gelang es den Wissenschaftler*innen, mittels eines neuen Massenspektrometrie-Verfahrens eine dreidimensionale Karte der Bindungspositionen der inneren Proteine des Kinetochors zu erhalten. Mit diesen karthographischen Daten konnten sie dann die Ergebnisse einer parallel durchgeführten Röntgenstrukturanalyse interpretieren und somit erstmals dreidimensionale Strukturen dreier Proteine im Kinetochor und deren Verknüpfung erhalten. Diese Arbeit stellt somit einen wichtigen Schritt zum besseren Verständnis der Chromosomen-Segregation dar und kann helfen, die krankhaften Prozesse, die zu einer Falschverteilung von Chromosomen bei der Zellteilung führen, besser zu verstehen.

In der Arbeitsgruppe von Prof. Hemmo Meyer (Medizinische Biologie) steht die AAA+-ATPase VCP/p97 im Zentrum des Forschungsinteresses. Dieses Protein ist ein zentraler Faktor im zellulären Ubiquitin-Proteasom-System, das in lebenden Zellen eine wichtige Funktion im geordneten Abbau von Proteinkomplexen übernimmt. Solche Proteinkomplexe werden in Zellen zu jedem Zeitpunkt zu tausenden je nach Bedarf geordnet zusammengesetzt oder dynamisch wieder auseinander gebaut. In Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen von Prof. Andrea Musacchio und Prof. Markus Kaiser (beide Medizinische Biologie) konnte die Gruppe von Hemmo Meyer nun zeigen, dass VCP/p97 eine wichtige Rolle in der Regulation der Funktion der Protein-Phosphatase-1 (PP1) spielt, welche abhängig von ihrer Wechselwirkung mit anderen Proteinen und somit ihrer Teilnahme an geordneten Proteinkomplexen an einer Vielzahl unterschiedlicher Prozesse von Stoffwechselreaktionen bis hin zur Zellteilung mitwirkt. So wird PP1 nach der Biosynthese zunächst in einem inaktiven Komplex mit zwei hemmenden Komponenten, SDS22 und Inhibitor-3, gebunden. Dieser Komplex wird anschließend durch VCP/p97 reguliert auseinandergebaut, so dass PP1 nun auch an anderen Proteinkomplexen teilnehmen kann. Diese aufwändige Regulation sorgt vermutlich dafür, dass die PP1-Komplexbildung in allen Zellen kontrolliert und gerichtet abläuft und somit Ordnung in das scheinbare Chaos der zellulären Proteine und Proteinkomplexe bringt. Dabei erfolgt die zelluläre Kontrolle des gesamten Prozesses nach einem neuen molekularen Regulationsmechanismus, der das bisherige Verständnis über die Funktion des Proteins VCP/p97 in der Zelle erweiterte.

Die Arbeitsgruppe von Dr. Barbara Saccà (Medizinische Biologie) beschäftigt sich mit der Implementierung der DNA-Bionanotechnologie als Tool für biologische Forschung. In diesem neuen und zurzeit enorm wachsenden Forschungsgebiet können aus DNA und somit dem Erbmaterial der Zellen beliebig strukturierte dreidimensionale Objekte im Nanometerbereich in vorhersagbarer Weise hergestellt werden. Solche Objekte könnten zum Beispiel artifizielle Viren zum Gen- oder Proteintransfer sein. Bis zu diesen biomedizinischen Anwendungen ist jedoch noch ein weiter Weg, der noch viele weitere Grundlagenstudien benötigt. In einer Forschungsarbeit in Kooperation mit den Arbeitsgruppen von Prof. Michael Ehrmann und Prof. Elsa Sanchez-Garcia (beide Medizinische Biologie) konnte die Arbeitsgruppe Saccá nun zeigen, dass im Inneren von röhrenartigen DNA-Nanostrukturen native Proteine effizient eingebracht werden können, wodurch deren chemische Eigenschaften wie z.B. Stabilität verändert werden. Solche enkapsulierten Protein-DNA-Konjugate könnten somit in Zukunft z.B. Anwendung als Protein-Carrier-Systeme finden.

Seit vielen Jahren stehen bei der Arbeitsgruppe von Prof. Ehrmann (Bereich Medizinische Biologie) die HtrA-Proteasen im Fokus der Forschung. HtrA-Proteasen sind aufgrund ihrer besonderen biochemischen Eigenschaften mechanistisch äußerst ungewöhnliche Proteasen. So können diese, im Gegensatz zu klassischen Proteasen, reversibel aktiviert bzw. inaktiviert werden. Einige HtrA-Proteasen sind dabei von besonderem medizinischem Interesse. Die humane HtrA-Protease HTRA1 zum Beispiel spielt nach neuesten Erkenntnissen eine wichtige Rolle in der Pathogenese der altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Dementsprechend könne eine gezielte Hemmung dieser Protease einen neuen Ansatz in der AMD-Therapie darstellen. Bisher konnten jedoch noch keine Hemmstoffe dieser Protease entwickelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, schloss sich daher die AG von Prof. Michael Ehrmann mit der von Prof. Markus Kaiser (Medizinische Biologie) zusammen. Als chemisch-biologische Arbeitsgruppe beschäftigt sich Prof. Markus Kaiser mit der Entwicklung neuer Konzepte zur Darstellung chemischer Wirkstoffe. Die beiden Arbeitsgruppen konnten gemeinsam zeigen, dass geeignet modifizierte Verbindungen einer Naturstoffklasse, den Ahp-Cyclodepsipeptiden, potente und pharmakologisch interessante Inhibitoren der HTRA1-Protease darstellen. Diese stellen somit einen ersten Schritt zur Entwicklung klinisch nutzbarer HTRA1-Inhibitoren dar. Die Relevanz der Arbeiten zeigt sich dabei auch darin, dass mittels dieser Daten die Einwerbung eines EFRE-Leitmarktwettbewerbes zur weiteren Optimierung und Evaluierung dieser Inhibitoren gelang.

In der modernen biologischen Forschung erzeugen immer aufwändigere experimentelle Methoden immer komplexere Daten, deren biologische Interpretation schwierig ist. Die Forschungsgruppe Bioinformatik und Computational Biophysics von Prof. Daniel Hoffmann (Medizinische Biologie) entwickelt computergestützte Methoden, die dabei helfen, neue Biologiekenntnisse in solch komplexen Daten zu entdecken. Aber der Computer ist nicht nur ein flexibles Werkzeug für die Analyse experimenteller Daten, sondern erlaubt auch die Modellierung komplexer biologischer Systeme und ermöglicht dabei Einsichten, die sich mit experimentellen Methoden nur schwer gewinnen lassen. Ein Beispiel ist die Modellierung öko-evolutionärer Dynamik mit der grundlegenden Frage: Warum entsteht biologische Vielfalt und warum ist sie stabil? Hierzu hat die Arbeitsgruppe Hoffmann ein Modell entwickelt, mit der die Dynamik von biologischen, miteinander konkurrierenden Gemeinschaften simuliert werden kann. Mit dem etablierten Modell konnte dann eine Reihe von biologischen Beobachtungen erklärt und insbesondere gezeigt werden, dass die biologische Vielfalt entsteht und stabil bleibt, wenn ein Ausgleich von Wettbewerbsfähigkeit und Replikation vorliegt.

Die Arbeitsgruppe Biodiversität von Prof. Jens Boenigk (Wasser- und Umweltforschung) untersucht Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Biodiversität und Ökosystemfunktionen. Die aktuelle Forschung gliedert sich dabei in drei Schwerpunkte: Die Veränderung der Artenvielfalt in Gewässern aufgrund von Stressoren, die funktionelle Diversität der Arten in Fließgewässern auf der Basis von Metatranskriptom- und Metagenomanalysen wie auch die Untersuchung der Verteilungsmuster von Arten auf europäischer Ebene. So gelang es der Arbeitsgruppe zum Beispiel in einer neueren Studie, die Rolle der Cryptophyta als Bakterienkonsumenten im Plankton von Seen aufzuklären und damit eine direkte Interaktion zwischen zwei bedeutenden Organismengruppen nachzuweisen, die bislang weitgehend unbeachtet blieb. Die Ergebnisse dieser Studie ändern unser Verständnis der Zusammenhänge und Interaktionen im mikrobiellen Nahrungsnetz und damit der Basis der Stoffflüsse durch Ökosysteme sowie deren Stabilität.

Prof. Florian Leese (Wasser- und Umweltforschung) arbeitet im Bereich der aquatischen Ökosystemforschung. Dabei hat er sich insbesondere mit der Etablierung molekularbiologischer Technologien zur Bewertung der Gewässerqualität einen Namen gemacht und auf diesem Gebiet vielfältige Pionierarbeit geleistet, die mit dem mit 100.000 Euro dotierten Wasser-Ressourcenpreis der Rüdiger Kurt Bode-Stiftung geehrt wurde. In einer dieser Forschungsarbeiten hat Prof. Leese DNA-basierte Analysen von Zuckmücken als alternative Bewertungsmethode der Gewässergüte verwendet. Weltweit sind Flüsse und Seen als Folge landwirtschaftlicher Nutzung und des Klimawandels beeinträchtigt. Um nun die negativen Einflussfaktoren auf Ökosysteme – auch Stressoren genannt – besser bestimmen zu können, verwendete die Arbeitsgruppe Leese Zuckmücken, die weltweit zahlreich in Flüssen und Seen vorkommen, aufgrund ihrer geringen Größe jedoch nicht als klassische Indikatoren verwendet werden können. Durch einen komplexen Versuchsaufbau konnte die AG jedoch zeigen, dass unterschiedliche Stressoren einen Einfluss auf die Zuckmücken-Artverteilung nehmen, die nun erstmals durch DNA-Analysen sichtbar gemacht werden konnte. Somit lassen sich in Zukunft die Qualität von Gewässern durch DNA-Analysen der dort lebenden Zuckmücken bestimmen.

Ökophysiologische und -toxikologische Untersuchungen zur Wirkung extremer vulkanogener CO2-Exhalationen (sogenannte Mofetten) auf Pflanzen, Pilze, Tiere, Böden, Klima als auch Studien zur Absorption von Feinstäuben durch lebende und abgestorbene pflanzliche Oberflächen oder die Quantifizierung und Modellierung des photosynthetischen Kohlenstoffgewinnes durch Stammphotosynthese bei Holzgewächsen und ihre Bedeutung für den Klimawandel stehen im Mittelpunkt der Forschung von Prof. Hardy Pfanz (Wasser- und Umweltforschung). Im Rahmen dieser Arbeiten gelang es ihm im letzten Jahr, eine vieldiskutierte Studie aus dem Bereich der Bio-Geomythologie zu publizieren. In dieser Arbeit konnten die Autor*innen zeigen, dass die bekannte mystische Figur des Kerberos (dt. auch Zerberus), ein dreiköpfiger Hund, der den antiken Eingang zur Unterwelt bewacht, nichts anderes als tödliches Mofettengas darstellt. Zur Belegung dieser These wurden verschiedene Studien in der Türkei, in Griechenland und in Italien durchgeführt.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Philipp Schmiemann (Empirische Lehr-Lernforschung) erforscht mit Methoden der empirischen Bildungsforschung, wie Lernende in der Schule und Universität Biologie besser verstehen können. Dabei geht es insbesondere um die Lernschwierigkeiten bei evolutionären Stammbäumen und genetischen Familienstammbäumen, sowie um das Verständnis von biologischen Systemen in der Ökologie (Nahrungsnetze) und Physiologie (Regelkreise). So untersuchte die Arbeitsgruppe in einer Studie mit Biologiestudierenden aus den USA und Deutschland, welche situationsbedingten Faktoren Einfluss auf den Lernerfolg im Bereich Genetik nehmen. Die aus dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse dienen nun im Rahmen des BMBF-Projektes „Bildungsgerechtigkeit im Fokus“ unter anderem zur Weiterentwicklung der Hochschullehre.