Geisteswissenschaften

Urbaner Wandel in den USA

Urbane Transformationen in der Gestaltung und Nutzung von Räumen, in der Zusammensetzung und Interaktion von Gemeinschaften sowie in kulturellen Repräsentationen in den Vereinigten Staaten von Amerika erforschen die im Rahmen des von MERCUR – Mercator Research Center Ruhr geförderten amerikanistischen Promotionskollegs der Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen, „Spaces, Communities, Representations: Urban Trans­formations in the United States“ betreuten Ar­beiten (an der UDE beteiligt: Prof. Josef Raab und Prof. Jens Martin Gurr). Die USA sind für die ­Erforschung städtischer Räume besonders interessant, da sich dort die beiden zentralen urbanen Entwicklungen der Gegenwart – Wachstum vs. Schrumpfung – parallel untersuchen lassen. Im Fokus der Untersuchung stehen Prozesse des ökonomischen und sozialen Wandels, der Inwertsetzung bzw. „Gentrifizierung“ ehemals vernachlässigter Stadtteile sowie die (sich ebenfalls wandelnde) symbolische Bedeutung und Repräsentation urbaner Räume und ihrer architektonischen und infrastrukturellen „Wahrzeichen“, die auch mit Entwicklungen im Ruhrgebiet in Bezug gesetzt werden können.

 

Urbanistischer Austausch: Tagungen

Auch mehrere wichtige Tagungen mit urbanistischem Schwerpunkt, die unsere Fakultät ausrichtete oder an deren Organisation Mitglieder unserer Fakultät beteiligt waren, fanden im Berichtszeitraum statt. So schlossen sich 2010 neutestamentliche Bibelwissenschaftler der Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen (Prof. Markus Tiwald, Katholische Theologie) zum Forschungsverband „Neues Testament an der Ruhr“ (NTR) zusammen und widmeten sich in ihren ersten beiden Jahrestagungen dem Thema „Das frühe Christentum und die Stadt“. Der Tagungsband ist erschienen: Nach den ersten galiläischen Anfängen ist das Christentum sehr bald zu einer städtischen Religion geworden. Als Erlöserreligion trifft es ­damit einen Nerv der damaligen hellenistisch-­römischen Urbanität: Sinnstiftung für ein gehobenes mondänes Publikum ebenso wie Erlösung und Trost für die wenig begüterten Schichten.
So wie die Mission des Paulus gerade in den ­antiken Metropolen längs der Hauptverkehrsadern des römischen Reiches zu ihrer Höchstform aufläuft, könnte eine weltoffene Religion auch heute den Menschen in den verschiedensten ­Kontexten des Ruhrgebietes sinnstiftend abholen und begleiten.
Das internationale Symposium „Die Stadt im Zwölfprophetenbuch“ (Förderung MERCUR, 23.–25.09.2010 in Essen), organisiert von Prof. Aaron Schart (Evangelische Theologie, mit Prof. Jutta Krispenz, Marburg) widmete sich der Darstellung und Bewertung der Stadt im biblischen Buch der „Zwölf Propheten“; der Sammelband zur Tagung ist erschienen. Die Stadt figuriert in den prophetischen Texten als Ort der Gottes­nähe und des Heils – als solche wird insbesondere die Stadt Jerusalem mit ihrem YHWH-Tempel ­beschrieben –, aber auch als auch als Hort sozialer Ungerechtigkeit, der Dekadenz und des religiösen Niedergangs, den der Gott Israels deshalb auch der Zerstörung preisgibt. Im Spannungsfeld kultureller und religiöser Vielfalt und unter der steten Drohung der militärischen Vernichtung durch andere Staaten suchen die Propheten nach einem Weg, der den Traditionen der Vergangenheit Zukunft bietet.
Vom 6. bis zum 9. Oktober 2011 fand an der UDE die von der DFG geförderte „14. inter­nationale Tagung der Gesellschaft für englische Romantik“ statt (Organisation Prof. Jens Martin Gurr und Prof. Frank Erik Pointner, Anglistik). Nachdem jahrzehntelang die Rolle der Natur für die englische Romantik im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stand, konnte die Tagung mit ihren rund 25 Vorträgen von zahlreichen international führenden Expertinnen und Ex­perten zur britischen Romantik durch die Ver­bindung neuerer Ansätze der Romantikforschung mit aktuellen Ansätzen der Stadtforschung ­entscheidend dazu beitragen, die Bedeutung der Stadt für die englische Romantik zu erhellen.
Der Sammelband „Romantic Cityscapes“ mit ausgewählten Beiträgen erscheint im Sommer 2013 in der etablierten Reihe „Studies in English Romanticism“.
Urbanität wird in ganz unterschiedlichen ­Formen der Manifestation von Wissen vergegenwärtigt. Als Chiffre für eine besondere Lebensform ist sie Gegenstand einer Vielzahl von Text­sorten; sie wird bildlich und kartographisch veranschaulicht wie auch akustisch kommentiert. Wie Artefakte die Eigenart des Städtischen herausstellen, war Gegenstand der Tagung „Urba­nität. Formen der Inszenierung in Texten, Karten, Bildern“ am Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster, die Prof. Ute Schneider ­(Historisches ­Institut der UDE) mitorganisierte. Es ging bei diesem Symposium weniger darum, Darstellungen der Stadt im Verlaufe der Geschichte zu erläutern und Veränderungen in der Wahrnehmung fest­zustellen. Vielmehr wurden, aus­gehend von einem kulturgeschichtlich geprägten Begriff von Medien und Medialität, Momente und Mechanismen von Sinnstiftung, mithin die Bedingungen der Möglichkeit in den Blick genommen, Aussagen zu generieren. Der Tagungsband erscheint 2013.

 

Stadtansichten

Tatsächlich „Darstellungen der Stadt im Verlaufe der Geschichte“ zeigte dagegen die Ausstellung „Imagines Europae Civitatum. Bilder zur Entwicklung von Stadtansicht und Stadtplan“ des Geographen Prof. em. Werner Kreuer in Bonn und Essen. Der sachliche Untertitel lässt kaum die ­erstaunlichen Bilder erahnen, die hier zusammengetragen wurden, darunter auch historische Ansichten von Duisburg und Essen – vorindustrielle Städte, noch weit ­entfernt von der „Metropole Ruhr“. Ob Beispiele römischer Münzschneidekunst, farbige Miniaturen, Holzschnitte und Lithographien oder modernes Luftbild – die Exponate sind im Original nicht selten Weltunikate und der Öffentlichkeit kaum zugänglich. Doch nicht nur die Originalfaksimiles machten den Reiz der ­Ausstellung aus. Es war die Bandbreite der hier zusammengestellten Stadtansichten, von der erstmals in Europa gezeigten ­Miniatur des osmanischen Künstlers Nasuh al-­Silahi aus dem Jahre 1537, der ersten Wiedergabe Konstantinopels nach der Eroberung durch die Türken, über die expressionistische Ansicht von Köln eines Oskar Kokoschka bis hin zur nüchternen Luftaufnahme von Nürnberg, die ihrerseits die Ästhetik mittelalterlicher Stadtplanung offenbart.
Architektur, Geschichte, Geografie, Politik- und Rechtswissenschaften, Stadtsoziologie und -ethnologie … : Sämtliche Disziplinen, die sich mit dem Thema Stadtforschung befassen, kommen in dem Band „Stadt. Ein interdisziplinäres Handbuch“ zu Wort, den der Stadtforscher Prof. Christoph Heyl (Anglistik) gemeinsam mit Harald Mieg vom Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung der HU Berlin herausgibt. Themen wie das Bild der Stadt, die Stadt als Bühne, als Lebenswelt, Stadt und Literatur, Stadt und ­Religion sowie das Gedächtnis der Stadt werden in diesem grundlegenden Buch zur Stadtforschung behandelt (erscheint 2013).
Der urbane Raum ist immer auch Raum für Kunst – ob im Museum oder auf der Straße. Und die Kunst entwickelt ihre eigenen Zugänge zum Urbanen. So erprobte das Projekt „Urbane Montagen“ von Prof. Susanne Weirich (Kunst und Kunstwissenschaft) künstlerische Verfahren, mit denen sich der städtische Raum spielerisch erschließen lässt. Ein Register möglicher Lesarten für periphere Orte sollte entwickelt werden. Elemente und Ordnungen wurden entdeckt, die entweder bereits vorhanden waren oder erfunden wurden. Das ­gewonnene Material diente als Ausgangspunkt ­einer künstlerischen Intervention: etwa eine Performance im Parkhaus, ein Hörspiel am Gleis 22 des Essener HBF, die filmische Verfolgung einer Kanalratte oder Idyllenforschung in einer verlassenen Fabrik.