Essener Kolleg für Geschlechterforschung
Ob man als Frau oder als Mann durchs Leben geht, spielt im Alltag eine große Rolle. Wo und wie genau, das untersucht Geschlechterforschung, indem sie das Verhältnis der Geschlechter, von „weiblich“ und „männlich“ in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie zum Beispiel Arbeit, Naturwissenschaft, Medizin, Recht, in Institutionen und Organisationen, in Bildung, Medien, Geschichte und Politik zum Gegenstand ihrer Forschung macht. Da weder die männliche noch die weibliche Erfahrung für sich genommen einen ganzheitlichen Blick auf die gesellschaftliche Realität liefern, untersucht das Kolleg Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Hinblick auf das biologische Geschlecht (sex), die soziale Konstruktion von Geschlecht (gender) und deren Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit sowie die intersektionale Verknüpfung von Geschlecht mit anderen Unterscheidungsmerkmalen wie dem sozio-ökonomischen, ethnischen und kulturellen Hintergrund oder Bildungsungleichheiten, um auf dieser Basis konkrete Erkenntnisse für die gesellschaftliche Praxis ableiten zu können.
Forschungsschwerpunkt Geschlechterordnung im Wandel
Der interdisziplinäre Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit Geschlecht, Gesellschaft und Kultur aus gesellschafts-, sozial-, kultur- und literaturwissenschaftlicher Perspektive und thematisiert Fragen wie: In welchem Verhältnis stehen „Liebe“ und „Leistung“ bei Doppelkarriere-Paaren? Lernen Männer „Führen“, Frauen nicht? Wie unterscheiden sich Frauen und Männer im Hinblick auf die Nutzung sozialer Netzwerkseiten? Welche Auswirkungen hat die „untypische“ Rolle der Frau als Familienernährerin auf das familiäre Geschlechterarrangement und die Situation am Arbeitsplatz? Wie herrschten Frauen im Mittelalter?
Zu zentralen Themen, die von Mitgliedern des Kollegs im Rahmen verschiedener BMBF, DFG, EU, vom Land NRW und durch Stiftungen geförderter Projekte in diesem Bereich bearbeitet werden, gehören:
- Geschlechterverhältnisse im Wandel;
- Geschlechterungleichheiten im Erwerbssystem, Wandel von (Erwerbs-)Arbeit, Gender and New Economy, Frauen in Führungspositionen, prekäre Beschäftigungen und Geschlecht;
- Geschlechterungleichheiten bei der Verteilung von Sorge- und Pflegearbeit;
- Ungleichheiten im Bildungssystem;
- rechtliche Regulierung von Geschlechterverhältnissen, Sozial- und Familienpolitik;
- die Ökonomisierung des Sozialen.
Forschungsschwerpunkt Geschlechter-Aspekte in biomedizinischer Forschung und klinischer Medizin
Männlich oder weiblich? Das kann auch in der Medizin eine überlebenswichtige Frage sein: So belegen Studien, dass ein Herzinfarkt bei Frauen später erkannt wird als bei Männern. In anderen Fällen wiederum ist das „starke Geschlecht“ im Nachteil: Männliche Patienten mit Altersdiabetes erhalten deutlich seltener eine optimale Behandlung zur Vermeidung von Folgeerkrankungen. Sowohl das biologische Geschlecht als auch das soziale Geschlecht spielen in der Medizin eine bedeutende Rolle.
In 2011 konnten bestehende Kooperationen intensiviert und zusätzliche Drittmittel von BMBF und DFG eingeworben werden: Im Rahmen des BMBF-Verbundes „Geschlechtersensible Forschung in Epidemiologie, Neurowissenschaften und Genetik/Tumorforschung“ erarbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kollegs in einem Teilprojekt unter Leitung von PD Dr. Andrea Kindler-Röhrborn eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Berücksichtigung von Geschlechteraspekten in der Genetik/Tumorforschung und erforschen exemplarisch die biologischen Grundlagen der geschlechtsspezifischen Ursachen von Schilddrüsenkarzinomen. Ein weiteres BMBF-Kooperationsprojekt mit der Universität Münster unter dem Titel „Geschlechtersensible Lehrmodule in der Medizin“ verfolgt das Anliegen, angehende Ärztinnen und Ärzte mit neuen Lehrkonzepten für Geschlechterunterschiede zu sensibilisieren. Ziel ist, bereits vorhandenes Wissen zur Unterschiedlichkeit der Geschlechter zusammenzutragen und in der Lehre an deutschen medizinischen Fakultäten zu verankern.
Um Geschlechter-Aspekte in biomedizinischer Forschung und klinischer Medizin geht es ferner in zwei Teilprojekten unter Leitung von Prof. Sigrid Elsenbruch im Rahmen der DFG-Forschergruppe 1581 „Extinction Learning: Neural Mechanisms, Behavioral Manifestations, and Clinical Implications“ sowie der DFG-Forschergruppe FOR 1328 „Erwartungen und Konditionierung als Basisprozesse der Placebo- und Nocebo-Reaktion: Von der Neurobiologie zur klinischen Anwendung“.
Zukunftsbereich „Diversityforschung“
Auf Initiative des Kollegs wurde in Zusammenarbeit mit dem Prorektorat Diversity Management und dem Lehrstuhl Postcolonial Studies, Prof. Patricia Plummer, mit der Erarbeitung eines Konzepts „Diversity Studies/Diversityforschung an der UDE“ begonnen. Ziel ist es, die Sichtbarkeit von „Diversityforschung“ an der UDE zu erhöhen, bestehende und zukünftige Forschungsschwerpunkte zu identifizieren, beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Institutionen zu vernetzen und Synergien zu nutzen durch interdisziplinäre Forschung.