Nanowissenschaften
In zahlreichen interdisziplinären, transdisziplinären und internationalen Kooperationen wird an der UDE zum Thema Nanotechnologie geforscht; die Ergebnisse haben eine Vielzahl von Publikationen sowie Patente hervorgebracht. Drittmittelgeber sind unter anderem die EU, die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF), das Land Nordrhein-Westfalen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Von der DFG werden gegenwärtig drei Sonderforschungsbereiche sowie ein Graduiertenkolleg gefördert: der SFB 445 „Nanopartikel aus der Gasphase“, der SFB 491 „Magnetische Heteroschichten“ und der SFB 616 „Energiedissipation an Oberflächen“ sowie das Graduiertenkolleg „Nanotronics“ (GK 1240). Zu den Forschungsschwerpunkten von CeNIDE gehören Verfahren, die die Herstellung von Nanomaterialien in größeren Mengen ermöglichen. Über diese Technologie verfügen weltweit nur wenige Forschungseinrichtungen – in Europa ist sie einzigartig.
Für eine nachhaltige Nanotechnologie ist die Erforschung der gesundheitlichen Auswirkungen von Nanopartikeln von großer Bedeutung. Daher beschäftigt sich CeNIDE auch mit den potenziellen Nebenwirkungen von Nanopartikeln. Dr. Thomas Kuhlbusch vom Institut für Energie und Umwelttechnik e.V. (IUTA) koordinierte im Projekt „NanoCare“ bis Juni 2009 verschiedene Studien, in denen gesundheitsrelevante Effekte von industriell hergestellten Nanopartikeln genauer untersucht wurden. In dem EU-geförderten Nachfolgeprojekt NANO-DEVICE werden bis 2013 tragbare Messgeräte entwickelt, mit denen die persönliche Exposition am Arbeitsplatz erfasst werden soll. Mitkoordinator in diesem Projekt ist der Aerosolforscher Prof. Heinz Fissan. Das Schwerpunktprogramm der DFG SPP1313 „Biological Responses to Nanoscale Particles“, unter Leitung von Prof. Reinhard Zellner von der Fakultät für Chemie, untersucht seit Anfang 2008 über einen Zeitraum von sechs Jahren interdisziplinär die grundlegenden Wechselwirkungen von Nanopartikeln mit biologischen Molekülen, Systemen und Zellen.
Internationales Aufsehen haben die auf Basis von Vorarbeiten aus dem SFB 445 aufgebauten Anlagen erregt. Diese ermöglichen es, Nanomaterialien in großem Maßstab herzustellen. Die besonderen Eigenschaften von Nanopartikeln entstehen erst durch die Reduzierung eines Stoffes auf Nanogröße. Das heißt, kleinste Bruchteile eines Materials reagieren anders auf äußere Einflüsse als große Mengen desselben Materials. Wenn die Nano-Teilchen wieder zu einem makroskopischen Bauteil zusammengesetzt werden, muss darauf geachtet werden, dass ihre besonderen elektrischen und mechanischen Qualitäten erhalten bleiben. Die Beherrschung dieses Prozesses ist wiederum eine Voraussetzung für die Anwendung. Erst wenn Materialien in größeren Mengen hergestellt werden können, ist es überhaupt möglich, die nachfolgenden Verarbeitungsschritte bis zur Anwendungsreife zu entwickeln.
Ein Anwendungsbereich, für den Nanotechnologie besonderes Potenzial bietet, ist die Energietechnik. Bestehende Verfahren der Energieumwandlung und -speicherung könnten mit Hilfe von Nanomaterialien um ein Vielfaches effizienter gestaltet werden. In diesem Zusammenhang konnten sich CeNIDE-Mitglieder mit gleich zwei Projekten mit einem Gesamtfördervolumen von 14,2 Mio Ä für die nächsten drei Jahre beim Wettbewerb „NanoMikro+Werkstoffe.NRW“ des Landesministeriums für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie durchsetzen, und zwar mit dem „NanoEnergieTechnikZentrum“ (NETZ) und dem Projekt „Halbleiter-Nanodrähte für Solarzellen und Leuchtdioden (NaSoL)“. Ziel von NETZ ist es, eine Technologieplattform zu entwickeln, die Materialien für energietechnische Anwendungen bereitstellt. Unter der Leitung des Ingenieurwissenschaftlers Prof. Christof Schulz konzentrieren die Forscherinnen und Forscher sich auf die Entwicklung neuer Materialien für die Bereiche Brennstoffzelle, Lithiumionen-Batterien, Energietechnisch relevante Katalyse, Photovoltaik und Thermoelektrik. Bei NaSoL geht es – unter der Leitung von Prof. Franz-Josef Tegude, Lehrstuhlinhaber für Halbleitertechnik/Halbleitertechnologie – um die Entwicklung von Solarzellen und Leuchtdioden auf Nanodraht-Basis.
Auch das Schwerpunktprogramm „Nanostrukturierte Thermoelektrika“ (SPP1386) der DFG, an dem CeNIDE-Mitglieder maßgeblich beteiligt sind, widmet sich dem Thema Thermoelektrik. Hier arbeiten Dr. Gabi Schierning (Elektrotechnik), Prof. Dietrich Wolf (Theoretische Physik) und Dr. Hartmut Wiggers (Maschinenbau und Verfahrenstechnik) gemeinsam an der Entwicklung von effizienteren und ökologischeren Materialien für thermoelektrische Anwendungen. An diesem Beispiel erkennt man deutlich die Vernetzung der verschiedenen Fachdisziplinen. Der theoretische Physiker Prof. Peter Kratzer arbeitet an einen weiteren Teilbereich des SPP mit dem Titel: Theorie, Modellsysteme und kontrollierte Synthese.
Was passiert, wenn Energie auf eine Oberfläche trifft? Für diese Frage interessieren sich die Forscherinnen und Forscher aus der Physik und der Chemie des SFB 616: „Energiedissipation an Oberflächen“. Sie verwenden für ihre Untersuchungen ultrakurze Laserpulse, die Materie sofort zum Schmelzen oder Verdampfen bringen. Oder sie schicken Elektronen in Nanostrukturen und beobachten diese dabei. Dafür nutzen sie Mikroskope, die extrem schnelle Bewegungen sichtbar machen können. So ist es unter anderem gelungen, in einem Kooperationsprojekt mit Wissenschaftlern der Universität von Toronto einen völlig neuartigen Schmelzprozess am Beispiel von Wismut zu beschreiben. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass es möglich ist, Wismut innerhalb von 190 Femtosekunden zu schmelzen. Eine Femtosekunde ist der billiardste Teil einer Sekunde (0,000000000000001 f2 s). Diese unvorstellbar kurze Dauer beschreibt die Zeit, in der Wismut beim nichtthermischen Schmelzen vom festen Zustand in den flüssigen übergeht. Ausgelöst wird der Schmelzvorgang durch einen ultraintensiven und nur 50 Femtosekunden kurzen Laserpuls, der die Atome so stark beschleunigt, dass dem Kristall schlagartig jegliche Voraussetzungen für einen Zusammenhalt entzogen wird. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse erfolgte unter dem Titel „Electronic acceleration of atomic motions and disordering in bismuth“ im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“. Die Autoren von Seiten der UDE sind Thomas Payer, Dr. Frank-J. Meyer zu Heringdorf und Prof. Michael Horn von Hoegen.
Ebenfalls mit Lasertechnologie arbeiten die Nano-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler um Dr. Nils Hartmann von der Fakultät für Chemie. Sie haben eine Methode entwickelt, Phospholipidschichten zu strukturieren – ein Artikel darüber wurde in dem Magazin „Small“ veröffentlicht. Phospholipid-schichten werden unter anderem als Modellsystem für Zellmembranen verwendet. Seit kurzem erregen solche Schichten auch viel Aufmerksamkeit als flexible biomolekulare Matrizen für verschiedenste Anwendungen im Mikro- und Nanobereich. Einsatz finden sie beispielsweise bei der Herstellung neuartiger Sensoren und Datenspeicher. Zukünftige Entwicklungen werden in hohem Maße von der Fähigkeit abhängen, nanostrukturierte Phospholipidschichten herzustellen.
Ein Glanzstück ist den Physikerinnen und Physikern um Prof. Rolf Möller in Kooperation mit der Universität Göttingen gelungen. Sie konnten das Ohmsche Gesetz auf atomarer Skala überprüfen. Als Ohmsches Gesetz wird der Zusammenhang zwischen Spannungsabfall und hindurchfließendem Strom bei konstanter Temperatur bezeichnet. Die Forscherinnen und Forscher zeigten, dass es möglich ist, elektrische Spannung über einzelne Atome zu messen. Bisher waren diese Prozesse bei der Entwicklung mikroelektronischer Bauelemente zwar noch nicht relevant. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass mit fortschreitender Miniaturisierung die Beiträge zum elektrischen Widerstand in Zukunft Atom für Atom berücksichtigt werden müssen. Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse in der Nanotechnologie-Zeitschrift „Nano Letters“.
Einen Traum vieler Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler hat die ingenieurwissenschaftliche Arbeitsgruppe von Prof. Gerd Bacher verwirklicht. Die Forscherinnen und Forscher konnten die Vorteile der dauerhaften Informationsspeicherung von magnetischen Metallen mit der ultraschnellen Informationsverarbeitung von Halbleitern kombinieren. Erstmals ist es gelungen, Halbleiter-Nanoteilchen per Lichtpuls zu magnetisieren. In den winzigen Nanokristallen wirkt ein effektives Magnetfeld, das 300.000 Mal stärker ist als das Erdmagnetfeld. Das hat zur Folge, dass die Lichtinduzierte Magnetisierung thermisch ungeheuer stabil ist und diese Nanomaterialien nun innovative Anwendungen in der Informationstechnik bei Raumtemperatur ermöglichen sollten. Ein entsprechender Bericht ist in „Science“ erschienen.
Anwendungsnahe Forschung wird im Rahmen eines Transferprojektes betrieben, das dem SFB 445 bewilligt wurde: „Synthese und Integration von Nanopartikeln in PVD (Physical Vapor Deposition) Schichten zur Verbesserung der tribologischen Eigenschaften“. Unter Leitung des Ingenieurwissenschaftlers Prof. Einar Kruis soll dabei das im SFB erarbeitete Wissen zur Nanopartikel-Synthese und -Deposition für die Automobilindustrie umgesetzt werden. Konkret geht es um die Realisierung eines neuen Beschichtungsprozesses, der die Integration von definiert hergestellten Nanopartikeln gestattet. Die neue Technologie wird es ermöglichen, maßgeschneiderte Verbund-PVD-Schichtsysteme herzustellen, um die Eigenschaften von Kolbenringen für die nächsten Motorengenerationen zu verbessern.
Ein weiteres Verbundprojekt mit der Automobilindustrie wird unter der Leitung von Prof. Christian Mayer von der Fakultät für Chemie durchgeführt: „Functional surfaces via inclusion of nanocapsules in metallic matrices“. Gemeinsam mit der Ingenieurin Dr. Claudia Dos Santos vom Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart entwickelt Mayer sich selbst reparierende Schutzschichten für Metalloberflächen. Diese Schichten sind von der Funktionsweise her so aufgebaut wie die menschliche Haut. Die eigentliche Neuheit besteht dabei in der Kombination von zwei Methoden, nämlich der Beschichtung mit gelösten Metallionen und Nanokapseln in einem.
Die Wechselwirkung von kleinen Nanopyramiden, so genannten Quantenpunkten, mit einer leitfähigen Kontaktschicht – einem zweidimensionalen Elektronengas – ist Thema eines Verbundprojekts, mit dem Titel „Coupling of Single Quantum Dots to Two-dimensional Systems“, kurz „QD2D“, das der Experimentalphysiker Dr. Martin Paul Geller koordiniert. Erforscht werden die Grenzen ladungsbasierter Speicher, etwa von Flash-Speichern. Diese können deshalb zunehmend kleiner werden, weil sie immer weniger Ladungsträger zur Informationsspeicherung benötigen. Innerhalb des Forschungsprojekts soll unter Beteiligung der TU Berlin, der Universität Lancaster und der TU Eindhoven unter anderem die Frage geklärt werden, ob Quantenpunkte künftig in Speicherbausteinen Verwendung finden können. Finanziert wird das Forschungsvorhaben von der EU und vier weiteren nationalen Förderorganisationen.
Aus dem Spitzentechnologie-Wettbewerb „Hightech NRW“ ist das am Institut für Energie- und Umwelttechnik (IUTA) angesiedelte Zentrum für Filtrationsforschung und funktionalisierte Oberflächen (ZF3) hervorgegangen. Hier wird gemeinsam mit Unternehmen aus der Region eine neue Generation von Funktionsfiltern entwickelt. Die Filter sollen beispielsweise Gase von Staubteilchen trennen, störende Gerüche abscheiden oder giftige Substanzen absorbieren können. Dafür wollen die Forscherinnen und Forscher neuartige Strukturen (etwa Feinstfasern) entwickeln oder gezielt Nanopartikel herstellen und einsetzen.